Zu Besuch bei Udemy in San Francisco…

Anfangs Oktober weilte ich für eine Weiterbildung in der wunderbaren Stadt mit der roten Brücke. Im Vorfeld schickte ich ein paar Zeilen an Persönlichkeiten aus dem Bereich Erwachsenenbildung. Und erhielt prompt eine Einladung zu einem Anlass von Udemy.com.

San Francisco Golden Gate BrueckeEin richtig sonniger und warmer Abend war es, als ich dort auf der Dachterrasse des Hauptquartiers rund 150 Personen, Mitarbeitende und Gäste dieser aufstrebenden Lernplattform, traf. Ich lernte offene und freundliche Leute kennen und konnte mich mit ihnen über den Stand von Lernplattformen „made in USA“ austauschen.

Was ist Udemy?

In einem Satz ausgedrückt: „Eine Art Bildungsbazar, der Lernende und Lehrende zusammenführt“. Technisch erklärt: Eine Online-Plattform, auf der Lehrkräfte einen Kurs zusammenstellen mit Videos, PowerPoints oder PDFs, aber auch Audio- oder Zip-Dateien, um ihn der ganzen Welt anzubieten.

San Francisco Meeting at Udemy.comDabei wählen die Kursinteressierten aus einer stetig wachsenden Anzahl von Online-Seminaren, die sie kostenlos oder gegen ein moderates Entgelt „lebenslänglich“ nutzen können. Somit bewegen sich die Kosten von 0 bis ca. 500 USD für oft umfangreiche und hochwertige Angebote mit exaktem Kursplan, Videounterricht und abrufbaren Unterlagen und Materialien.

Zehntausende von Lehrkräften haben bereits ihre Online-Seminare hochgeladen. Die Themen reichen von Programmierkurs bis zu Yoga, Digital-Fotographie und vielem mehr. Udemy selber schreibt von Millionen Nutzern, die sich aus allen Ländern der Welt zuschalten und 24 Stunden an sieben Tagen über den PC, ihr Smartphone oder Tablet die Lernangebote nutzen. Kürzlich erzielte die 2010 von türkischen Programmierern gegründete Firma eine zweites „Funding“ von 32 Mio. und verfügt jetzt über ein Kapital von 48 Mio. USD.

SFO 17 Meeting at Udemy.com 2 Corporate and organisational Learning

Spannend und überraschend am Treffen war die Auskunft von Meg Evans, Manager for Social Innovation bei Udemy, dass ihre Firma Anstrengungen unternimmt, Firmen und Organisationen zu gewinnen, die ihre Bildungsangebote über die Plattform den Mitarbeitenden, zum Teil auch einem grösseren Kreis, von Interessenten, offerieren wollen.

Als Beispiel erwähnte sie grosse US-amerikanische Hilfsorganisationen, die z.B. in mehreren Ländern in Westafrika operieren. Sie schalten bereits einen Teil ihrer Schulungsprogramme auf Udemy, während die Mitarbeitenden in den verschiedenen Ländern individuell Zugriff nehmen und von ihrem Büro aus aktuelle Online-Trainings absolvieren.

Udemy, ganz in der Tradition der in den USA entwickelten Philanthropie -in einem Land, in dem staatliche soziale Institutionen einen schweren Stand haben- unterstützt einen Teil dieser Hilfswerke mit attraktiven Konditionen.

Qualität der E-Learning-Angebote

Ich habe inzwischen einige der auch kostenlos offerierten Angebote ausprobiert und war angenehm überrascht, auf welchem Niveau sich die Kurse bewegen. Alle Angebote durchlaufen vorgängig Qualitätstests. In der Regel müssen Verbesserungen bei den Folien, den Zwischenprüfungen, den Videos oder dem ganzen Design vorgenommen werden. Erst dann erhält ein Kurs den Stempel „approved“.

Das Udemy-Tool „Create your course“ ist einfach strukturiert und benutzerfreundlich gestaltet. Udemy erlaubt das Hochladen von Videos, die auf youtube oder vimeo lagern. Udemy fordert sogar, dass 60% der Lehrmittel als Videos daherkommen. Ebenfalls ist das Hochladen von PowerPoints möglich, die sonst oft nur als PDF gespeichert werden können. Und Udemy erwartet explizit, dass verantwortliche Lehrkräfte ihre Angebote ständig überwachen und bei Bedarf erneut anpassen, sprich: Verbessern.

San Francisco Diego RiveraDas Geschäftsmodell hinter Udemy

In den letzten Monaten sorgte das neue Abrechnungsmodell bei Trainern und Seminaranbietern für Kritik: Der Vorwurf, ein Pyramidensystem zu errichten, wurde laut. Während beim Start der Plattform die Autoren eines Online-Moduls noch 90% des von Udemy direkt mit den Kunden abgerechneten Betrages erhielt, wechselte die Bildungsvermittlerin im 2014 ihr Modell:

  • 100% des Ertrages, wenn der Trainer oder die Trainerin den Teilnehmer selber zu Udemy.com bringt.
  • 50% des Ertrages, wenn dieser Teilnehmer über die Plattform zum Kursangebot kommt.
  • 25% des Ertrages, wenn die Kursteilnahme auf Grund eines Inserates von Udemy resultierte.

Schnell mokierten sich die Trainer, dass bereits bei der zweiten Kursbuchung jeder Udemy-Kunde dem Autor und Schöpfer eines Kursangebotes nur noch mit 50% verrechnet wird. Und damit letztlich stets die Plattform-Betreiberin den grösseren Nutzen hat. Einige Autorinnen und Autoren gingen sogar soweit, dass sie anmerkten, mit ihrer erfolgreichen Anwerbung von Teilnehmenden den Ertrag von anderen Kursanbieter zu mindern, da diese anschliessend nur noch 50% des ausgeschriebenen Honorars erhalten könnten. Schliesslich ist auch für eine innovative und in der Qualität überzeugende Plattform wie Udemy der Kreis potentieller Kunden begrenzt; das Interesse an den dort angebotenen Themen, überschaubar.

Alternativen zu Udemy

Entsprechend tauchten im Netz Hinweise für alternative Plattformen wie www.shopyfy.com auf, die erlauben, das eigene Angebot selbständig zu verwalten. Allerdings sind diese Varianten, im Gegensatz zu www.udemy.com , mit monatlichen Kosten von um die 100.- USD plus einmaligen Gebühren für Plugins und Frames verbunden.

SFO 1 Fazit: Mir gefällt der anspruchsvolle Ansatz, den Udemy verfolgt. Meg Evans und ihre Kollegen verstehen ihr Business. Die Lektionen der Lernangebote sind so aufgebaut, dass laufend kleinere Tests oder Zwischenprüfungen erforderlich sind, bevor ein nächster Schritt möglich ist. Dies bedeutet: Die Auseinandersetzung mit dem Lernstoff ist zwingend erforderlich. Und die Studierenden können in einem Forum Fragen stellen, die im Sinne eines Rück-Koppelungsprozesses, von der Lehrperson oder von den anderen Studierenden, zeitnah bearbeitet werden. Diese Form der Interaktion und die tendenziell hohe Qualität ist vermutlich der USP des Angebotes und wird von den Teilnehmenden rege in Anspruch genommen. Alle Lektionen können von den Teilnehmenden bewertet werden. Dies verhindert, dass Interessierte die Katze im Sack kaufen.

Mit meinen Freunden aus den USA bearbeite ich in den nächsten Wochen Seminarmodule zu „Didactical Reduction“ und plane diese im neuen Jahr online zu stellen.

Eine Herausforderung sehe ich für Trainerkolleginnen und Kollegen im hohen Anteil von Video-Elementen. Vermutlich läuft es bei mir darauf hinaus, eine PowerPoint-Präsentation als Video aufzuzeichnen und mit kleinschrittigen Aufgaben zu ergänzen. Je nach Thema kann ich mir vorstellen, dass dies nicht ausreicht. Denn wer zum Beispiel einen Kochkurs bucht, der will neben dem theoretischen Teil und den Folien mit den Anleitungen auch den praktischen Teil sehen. Dies wiederum erfordert hochwertiges Filmmaterial, welches zuerst produziert und dann geschnitten werden muss.

„Adaptive Lernsysteme – Motto: „I do it my way“

Ort und Zeitpunkt passen sich an den Lernende an, nicht aber der Inhalt. So läuft E-Learning heute. Dies soll sich künftig ändern: Adaptive Lernsysteme, die das Verhalten der Lernenden erkennen und ihre Bedürfnisse berücksichtigen, sind im Kommen. Wie das geht und welche Herausforderungen Lehrkräfte und Lernende begegnen müssen, zeigt eine aktuelle Studie des MMB Institut für Medien und Kompetenzforschung.

Früher war alles einfacher. Schule funktionierte nach den berühmten sieben „Gs“: Eine Gruppe von Lernenden sitzt zur gleichen Zeit, im gleichen Raum und arbeitet im gleichen Tempo am gleichen Thema. Noch fehlen zwei „Gs“? Sie nutzen die gleichen Medien (Buch, Kopien) und arbeiten auf dem gleichen Anspruchsniveau. „Wenn alle schlafen und einer spricht, nennt man dies Unterricht“, hies dies zu meiner Zeit.

Lernen früher Frontalunterricht 7 G'sAuch modernere Lehr- und Lernansätze, die Elemente des Blended-Learning einsetzen und Präsenzunterricht mit E-Learning kombinieren, z.B. für die Vor- oder Nachbereitung, setzten auf dieses Muster: Einer definierten, meist grösseren Gruppe, werden die exakt gleichen Lerninhalte zur Verfügung gestellt. Allenfalls können die Nutzer noch wählen, ob sie am Computer, Tablet oder Smartphone on- oder offline damit arbeiten.

Richtig innovativ ist dieser Ansatz nicht, denn die Inhalte und Darbietungsweise ist für alle gleich. Unabhängig vom Vorwissen oder dem präferierten Lernstil der Lernenden. Ohne Rücksicht auf das Geschlecht, kulturellen Herkunft, typische Lernumgebungen oder auch lernbiographischen Prägungen.

Neuer Trend aus den USA

Adaptive Lernsysteme – in den USA auch Intelligent Tutoring Systems (ITS) genannt, setzten exakt hier an. Sie ahmen menschliche Tutoren nach, in dem sie das Verhalten des Lernenden beobachten und auf der Basis spezifischer Wissenmodelle interpretieren. Aus der Beobachtung, etwa der Fehlerhäufigkeit oder Art der Fehler, leiten sie Lernbedürfnisse und Nutzerpräferenzen ab. Adaptive Lernsysteme richten sich individuell auf den jeweiligen Nutzer aus und passen Inhalte, aber auch den Moment der Verabreichung, die Intensität und die Form, wie diese Inhalte präsentiert werden, flexibel an.

In den USA wird dieser Lernansatz zur Zeit heftig diskutiert. Chris Gabrieli schreibt in der Zeitschrift „Educational Leadership“ über den neuen Lerntrend: „Adaptive Software enables students to learn at their own style. Blended learning schools complement the unique value of live teaching with cost-effective online learning“. Die Apologeten für anpassungsfähige Lernsysteme sehen –wie so oft bei einem neuen Trend- Anzeichen einer Bildungsrevolution am Horizont leuchen: „Advocates point to the opportunity to finally graduate from the old factory model of instruction, in which all students receive the same amount and content of teaching in a definded class period, to one in which students progress through topics as they achieve mastery in them“.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Adaptive Lernsysteme sind möglicherweise geeignet, unsere Art über Lernzeit und Lernort zu denken, völlig neu auszurichten. Denn Menschen sind unterschiedlich und brauchen unterschiedlich lange, um sich mit einem Stoff auseinanderzusetzen, mit der eigenen Erfahrungswelt zu verknüpfen, sich den Stoff persönlich anzueignen. Sie bereiten sich zu Hause oder am Ort ihrer Wahl vor –Hauptsache sie haben mit ihrem fixen oder mobilen Endgerät Zugang zur Lernplattform- und diskutieren im Präsenzunterricht Fragen und Unsicherheiten.

Ein kritischer Blick auf bestehende assistive Angebote zeigt rasch: Adaptive Lernsysteme stecken noch in den Kinderschuhen. Bei deutschen Anbietern umfassen adaptive Lernsysteme vor allem Varianten, bei denen der Nutzer z.B. aus verschiedenen Inhalten (Business-Englisch vs. Reise-Englisch) oder Anspruchsstufen (Beginner – Advanced) auswählen kann. Weitaus weniger verbreitet sind die eingangs beschriebenen „intelligenten Funktionen“, bei denen das Lernsystem Verhaltensweise und Merkmale des Lernenden misst und entsprechend darauf reagiert.

Die Rollen der Ausbildenden und der Lernenden wandeln sich

Für Bildungsfachleute ist dies der Zeitpunkt, sich Gedanken über didaktische Konzepte zu machen, wie diese Systeme in der Weiterbildung eingesetzt werden können. Denn klar ist –gemäss der eingangs zitierten Studie- dass in den nächsten Jahren zahlreiche assistive Angebote auf den Markt kommen werden.

Sicher ist auch: Die Rollen der Ausbildenden und der Lernenden werden sich ändern. Und wie immer bei netzgestützten Aktivitäten muss die Frage beantwortet werden:

  • Wer übt im Lernprozess wie viel Kontrolle aus?
  • Welche Freiheiten erhalten die Lernenden (ihren Weg autonom zu entscheiden)?
  • Wer hat das Recht, Lerninhalte zu generieren?
  • Die Lehrkraft, die Verlage oder Produzenten…oder auch die Lernenden?

In der Studie werden sechs Thesen entwickelt:

These 1: Statt Effizienzsteigerung die individuelle Förderung fokussieren.
Mit Blick auf die USA sehen die Autoren der Studie die Gefahr, dass die adaptiven Lernsysteme vor allem zur Einsparung von Lehrerlöhnen eingesetzt werden. Dabei besteht ihr eigentliches Potential darin, den Lernprozess für den Einzelnen angenehmer und mit weniger „Reibungsverlusten“ zu gestalten. Um damit einen lernförderlichen Beitrag zur Motivation beizutragen.

These 2: Der Faktor Mensch bleibt wichtig.
Kritisch merkt die Studie an, dass adaptive Lernsysteme den Trainer nicht ersetzen sollen. Während er einige Funktionen an die elektronischen Lernhelfer abgibt, hat er mehr Zeit für individuelle Lernbegleitung. Dieser Rollenwechsel benötigt vermutlich eine abgeänderte Qualifizierung der verantwortlichen Lehrkräfte.

These 3: Lehrende und Lernende müssen das Konzept „Adaptives Lernen“ verstehen und für die Erreichung ihres Lernzieles nutzen können.
Die Anforderungen an die Medienkompetenz der Lernenden steigen, wenn adaptive Lernsysteme zum Einsatz kommen. Nur so können die Systeme ergänzend und erfolgreich eingesetzt werden.

These 4: Es braucht Transparenz über die Funktionsweise.
Damit Lernende und die Ausbildenden das Lernsystem einsetzen und verstehen, braucht es maximale Transparenz: Welche Daten werden erhoben, wer hat Einblick darauf, wie reagiert das System.

These 5: Adaptives Lernen braucht Abmachungen.
Damit Lernende nicht den Eindruck haben, Vorgesetzte oder Lehrkräfte würden sie ausspionieren (Motto: „Wann habe ich für wie lange mit welchem Ergebnis gelernt?“), muss vorab geregelt werden, welche Daten erhoben werden dürfen und welche nicht. Insbesondere muss offengelegt werden, wenn außer dem Lernenden noch jemand (die Lehrperson, Vorgesetzte) Einblick erhalten sollen.

These 6: Selbstermächtigung muss im Mittelpunkt stehen – Bevormundung geht nicht!
Lernende sollen die Möglichkeit haben, die Intensität der Unterstützung zu steuern. Sonst wird daraus rasch Bevormundung. Vergleichbar mit einem Strassennavigationsgerät, dass die Fahrer auf eine bestimmte Route zwingen will.

Institut für Medien- und KompetenzforschungDie Studie steht auf der Homepage des MMB zum kostenlosen Download bereit. Interessant ist auch die darin enthaltene Liste der rund 51 deutschen Anbieter, die adaptive Lernsysteme bereits im Portfolio haben.

Für eine Pädagogik in der Dimension 3.0

Das neue Buch “Digitale Dividende” von Prof. Dr. Olaf-Axel Burow erinnert mit seinem Titel an den polemischen Bestseller “Digitale Demenz” des deutschen Psychiaters Manfred Spitzer. Doch im Gegensatz zu Spitzer betont Burow die erweiterten Möglichkeiten, die „Lernen in der Dimension 3.0“ den neuen Generationen bietet.

Digitale Dividende Olaf-Axel BurowDer Untertitel fasst die kritische Haltung Burows den „klassischen“ Bildungsinstitutionen gegenüber gut zusammen: “Ein pädagogisches Update für mehr Lernfreude und Kreativität in der Schule”.

Drei Arten von Lernen unterscheidet der Unterrichtsentwickler und Kreativitätsforscher:

  • Lernen in der Dimension 1.0

Burow meint damit ursprüngliches oder „natürliches“ Lernen, aus eigenem Antrieb und mit selber definierten Lernzielen

  • Lernen in der Dimension 2.0

Industriell gestaltete und organisierte Lernprozesse, so wie in der Schule oft erlebt

  • Lernen in der Dimension 3.0

Eine Mischform, die auf bewährte Elemente aus den ersten beiden Varianten plus die „Digitale Dividende“, sprich Möglichkeiten der Informations- und Kommunikations-technologie baut. Denn die neuen Medien, klug eingesetzt, befähigen Bildungs-institutionen, unabhängig von Ort und Zeit, die besten Lehrpersonen und Lernmaterialien online zur Verfügung zu stellen. Und wenn Lernende und Studierende auch in die Produktion von Lernmaterialien einbezogen werden, ergibt sich ein vielfältig vernetztes Synergiefeld von Menschen und Gruppen mit all ihren Fähigkeiten.

Fazit: Ein inspirierendes und zeitgemässes Buch. Seine pädagogischen Analysen und praktischen Hinweise helfen interessierten Lehrpersonen und Ausbildenden, ihre Lernangebote näher an die Zukunft zu führen. Der Autor zeigt, dass er –im Gegensatz zu Spitzer- über den eigenen Tellerrand blicken kann in dem er auch Erfahrungen aus anderen Disziplinen in seinen Überlegungen berücksichtigt.

Neuausgabe „Handbuch E-Learning, Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ von Patricia Arnold et al.

E-Learning und Lernen 2.0 ist in aller Munde. Nach dem Hype der 90-er Jahre, die dem E-Learning das Potenzial zusprachen, die ganze Bildungslandschaft umzukrempeln, stehen Bildungsfachleute heute den neuen Technologien nach einer Phase der interessierten Reserviertheit wieder zunehmend positiver gegenüber.

Warum ist dies so? Kompetenzorientiertes E-Learning mit Sozialen Medien nutzt heute die erweiterten Möglichkeiten der „Sozialen Software“, die Menschen hilft, über örtliche Barrieren und Präsenzunterricht hinweg über das Internet zusammen zu arbeiten und Wissen zu teilen. Gut augebautes Lernen 2.0 setzt auf die Emanzipation der Lernenden, die ihre Alltagserfahrungen und ihr Wissen über interaktive Plattformen wie Blogs oder Wikis einbringen, kommentieren, reflektieren und gemeinsam weiterentwickeln.

Die AutorInnen des hier besprochenen Sachbuches, alles Fachleute für Blended-Learning-Konzeptionen auf Hochschulstufe, führen in diesem Buch unter der Leitung von Dr. phil. Patricia Arnold, wichtige Erkenntnisse über entscheidende Erfolgsfaktoren für E-Learning-Angebote im Kontext von Erwachsenenbildung schlüssig zusammen.

Ihr Fazit: Bedarfsgerechte Lernkonzeptionen sind der entscheidende Erfolgsfaktor für E-Learning Angebote. Die informations- und kommunikationstechnischen Innovationen bilden lediglich die Voraussetzungen, um die für erfolgreiches Lernen im virtuellen Raum erforderliche pädagogische Infrastruktur zu schaffen. Das Ziel muss sein, selbst organisiertes kooperatives Lernen zu ermöglichen.

Im Vergleich zum ersten Handbuch (2004), welches vor allem Ergebnisse aus einer deutschen Studie über den Einsatz von E-Learning auf Fachhochschulstufe referierte, bietet das überarbeitete Handbuch praktisch umsetzbare Hinweise für die erfolgreiche Gestaltung von Bildungsmassnahmen, unterstützt durch den Einsatz digitaler Möglichkeiten. Auf über 400 Seiten spannen die AutorInnen den Bogen von der Didaktik bis zur Entwicklung und Evaluation virtueller Bildungsangebote und ihre umfangreiche Textsammlung spricht neben der Hauptzielgruppe Hochschullehrkräften auch Dozenten und vielleicht etwas eingeschränkter Ausbilder und Studierende an.

Der Band berichtet über Grundlagen erfolgreicher Lehr- und Lernprozesse, die Auswahl, Gestaltung und Implementierung sowie Nutzung virtueller Bildungsräume und persönlicher Lernumgebungen. Auf das Thema „Kosten“ und technische Details wird allerdings nicht eingegangen. Die umfassende Darstellung von Web 2.0 Werkzeugen, die Ausführungen zu Qualitätsmanagement (hier verstanden als „Qualitätsentwicklung“) machen das Handbuch jedoch zu einem wertvollen Begleiter im Arbeitsalltag von Bildungsfachleuten, insbesondere von Umsetzern und erfahrenen Praktikern. Konsequent aus einer didaktischen Perspektive gedacht, hat mir das Buch wertvolle Impulse für die Durchführung von Seminaren und Firmenschulungen zum Thema „Lernen 2.0 und Perspektiven für Bildungsfachleute“ gegeben.

Fazit: Hier waren Spezialisten am Werk, die eine schlüssige und eingängige Struktur gewählt haben und die inhaltliche Breite und fachliche Fundierung sind beeindruckend. Das erste und letzte Kapitel bilden quasi die Klammer und Rahmen für E-Learning und die Autoren stellen sich hier Fragen, die sich alle am Thema interessierten Fachleute stellen würden: Was sind die Voraussetzungen für E-Learning? Wie können wir die Nachhaltigkeit der Lernprozesse sicher?

Was würde ich anders machen, wenn ich ein solches Buch schreiben würde? Der Band legt aus meiner Sicht ein zu starkes Gewicht auf das „Lehren“ statt „Lernen“. Die Förderung von Kompetenzen, oder wie ich es persönlich bevorzuge, der „Performanz“ (siehe Hans Furrer in Das Berner Modell 2009), die heute in der beruflichen Bildung im Sinne von „Problemlösefähigkeit“ längst im Mittelpunkt steht, sollen hier offenbar weniger gefördert werden, sondern es geht in erster Linie um Ziele auf der Wissensebene. Dies halte ich für weder besonders innovativ, noch sinnvoll. Und dann verfügt der Band auch über ein Glossar, nicht aber über ein Stichwortverzeichnis, was für mich bei einem Handbuch zur Grundaustattung gehören sollte.

Aber trotz der Kritik ist das Buch vermutlich einer der besten aktuell greifbaren Titel zum Thema E-Learning und für Bildungsfachleute eine wertvolle Unterstützung.

Handbuch E-Learning: Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Patricia Arnold et al., Bertelsmann Verlag, September 2011, ISBN 978-3763948888

FlatworldKnowlegde – Schul- und Lehrbücher mit Web 2.0 auf Zielgruppe anpassen

Schulbuchverlage: Aufgepasst!: FlatworldKnowledge bietet neu Schul- und Lehrbücher, die von Lehrern/Professoren umgeschrieben und an das jeweilige Unterrichtskonzept angepasst werden können:

“Remixable Books” nennt Flatworld-Knowledge sein Konzept, das irgendwie an http://www.bookriff.com erinnert. Eine interessante Idee – die auch schon einen Nachahmer gefunden hat: Kein geringerer als Macmillan Publishers Ltd. hat  2010 mit DynamicBooks ein CopyCat für den  Wissenschaftsbetrieb ins Rennen geschickt. Ob sich deutschsprachige Verlage das Konzept schon angeschaut hat?