Über Yvo Wüest

Bildungsfachmann und Trainer für Didaktische Reduktion in der Schweiz und international.

Von Primzahlen und der Möglichkeit, mit der Heuristik Muster zu erkennen

Diese Woche stolperte ich über einen interessanten Bericht zum Thema „Primzahlen“. Wer in der Schule aufgepasst hat, erinnert sich, dass Primzahlen ausschließlich durch eins und sich selbst teilbar sind. Und wer schon über Primzahlenreihen reflektierte, bemerkte ebenfalls, dass die Abstände zwischen ihnen reichlich willkürlich daherkommen, je größer sie sind.

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Quelle Bild: Spreadshirt.ch

Dank Kristallen ist klar: Primzahlen folgen wohl doch einem Muster

Rund 23,5 Millionen Stellen hat die derzeit höchste berechnete Primzahl, die sogenannte 50. Mersenne-Primzahl. Doch wie war das gleich? Je höher die Zahlen, desto willkürlicher die Abstände? Die Forscher sind sich hier nicht mehr so sicher.

Möglicherweise gibt es laut Wissenschaftlern an der Universität Princeton doch ein Muster. Ausgerechnet mit der Hilfe von Kristallen, wollen sie dies herausgefunden haben. Dafür lenkten sie Röntgenstrahlen auf ein kristallartiges Material, genannt „Quasi-Kristall“, und stellten so die innere Anordnung der Atome dar. Später führten sie Primzahlen am Computer in einer eindimensionalen Atomreihe auf und ließen davon ebenfalls Licht abprallen.

Resultat: Offenbar ähnelt die Anordnung der atomaren Teilchen erstaunlich stark der Sequenz der Primzahlen, wenn man sie über eine große Distanz hinweg auf dem Zahlenstrahl betrachtet. So steht es im Artikel des Journal of Statistical Mechanics der Princetown University.

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Salvatore Torquato, der Autor der Studie, Professor für Naturwissenschaften und Professor für Chemie, sagte bei der Veröffentlichung, man habe zeigen können, dass es offenbar viel mehr Ordnung in den Primzahlen gebe, als jemals zuvor entdeckt worden sei. Primzahlen verhielten sich eben fast wie ein Kristall. Sie fielen in die Klasse der Muster, die man „Hyperuniformität“ nennt.

Mich hat die Veröffentlichung zu den Primzahlen an einen Text erinnert, den ich 2015 veröffentlichte. Diesen habe ich inzwischen überarbeitet und baue ihn in diesen Beitrag hier ein.

„Muster erkennen mit Heuristik“

Im berühmten Triller „Enigma“ beschreibt Robert Harris die verzwickte Situation der britischen Mathematiker im zweiten Weltkrieg, als sie die legendäre Verschlüsselungsmaschine der Deutschen zu knacken versuchten. Zum ersten Mal wurde nicht mehr von Hand, sondern von der Maschine chiffriert. Die Verschlüsselung galt als «unknackbar».

Im Bletchley Park, einem streng bewachten Camp ausserhalb von London, brüteten die Briten monatelang über die im U-Bootkrieg abgefangenen deutschen Funksprüche.

Im Buch liest sich dies dramatisch: «Das Ballett der sinnlosen Buchstaben tanzte vor seinen Augen. Aber sie waren nicht sinnlos. In ihnen war ein Sinn von allergrösster Bedeutung versteckt, sofern er ihn nur entdecken konnte. «Aber wo war das Muster? Wo war das Muster? Wo war das Muster?»

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Quelle: Harris, Robert: Enigma, 1995, S.74 (zitiert nach Weibel, Benedikt: Simplicity – die Kunst, die Komplexität zu reduzieren, 2014, S. 64).

Führender Codeknacker in London war Alan Turing. Dank der Entdeckung eines Musters gelang ihm endlich der Durchbruch:

  1. ENIGMA verschlüsselt grundsätzlich keinen Buchstaben in sich selbst.
  2. Schlüsselwörter wie «Wind» oder «Nebel» mussten zu Beginn erraten werden.

Dank der Arbeit von ihm und seinem Team erzielten die alliierten Streitkräfte den entscheidenden Durchbruch.

Mit Heuristik komplexe Rätsel lösen

Heuristik heisst das Verfahren, das hilft, adäquate, wenn auch oft noch unvollkommene Antworten auf schwierige Fragen zu finden. Dabei wird vielfach die Variante gewählt, anstelle eines schwierigen Problems vorerst ein einfacheres zu setzen.

Dieses Vorgehen ist in der Mathematik verbreitet. Der berühmte französische Mathematiker Henri Poincaré nahm an einem von König Oskar II. ausgerufenen Mathematikwettbewerb über die seit Newton ungelöste Frage der Stabilität des Sonnensystems teil. Doch anders als seine Mitbewerber reduzierte Poincaré die Komplexität: Statt auf das ganze Sonnensystem konzentrierte er sich auf ein Modell mit nur zwei Planeten. Und fand so zu einer Lösung.

Quelle: Villani, Cédric: Das Lebendige Theorem, 2013, S. 224, zitiert nach Weibel, Benedikt: Simplicity – die Kunst die Komplexität zu reduzieren, 2014, S. 37

Lob der Fähigkeit, Muster zu erkennen

Mit Blick auf diese Forschungsarbeiten zu den Primzahlen können wir sagen: Mustererkennung ist nicht bloss ein heuristisches Verfahren, um mit einer zunehmend komplexeren Welt umgehen zu können. Mustererkennung ist der fundamentale Baustein eines Erkenntnisprozesses. Schon die ersten Philosophen setzten sich mit der Abstraktion auseinander. Das lateinische «abstrahere» übersetzen wir bekanntlich mit abziehen, entfernen oder trennen. Erst durch das Weglassen von Einzelheiten, vermögen wir das Allgemeine zu erkennen.

Douglas Hofstadter, Autor des berühmten Buchs «Gödel, Escher, Bach» (1979), definierte Intelligenz als Eigenschaft, aus einer Tätigkeit herauszuspringen und beurteilen zu können, was getan wurde. In der Erwachsenenbildung sprechen wir in einem solchen Fall von der Fähigkeit zur Metareflexion. Im besten Fall wird dabei stets nach Mustern gesucht.

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Wenn wir heute in die Richtung der USA schauen und augenreibend das Treiben von No. 45 beobachten, oder auch die sich in Ungarn und aktuell in Brasiliens Wahlkampf politisch abzeichnenden autoritären Muster sehen, erinnern sich vielleicht einige Leserinnen und Leser an Guillermo Cabrera Infante, den 2005 im Exil verstorbenen Schriftsteller aus Kuba. In „Ansicht der Tropen im Morgengrauen“, schrieb er:

«Der General fragte, wie spät es sei, und ein Adjutant kam schnell herbei und flüsterte ihm zu: So spät, wie Sie wünschen, Herr Präsident».

Quelle: Cabrera Infante, Guillermo: Der General fragte, aus: Ansicht der Tropen im Morgengrauen, 1992

Didaktische Reduktion in der Geographiestunde

Als Beispiel kann uns hier die Situation im Fach «Erdkunde» dienen. Hier ist die Verlockung, vollständig, statt gründlich zu lehren, besonders gross. Denn das Fach bietet eine Vielfalt an Faktenwissen:

  • Von den zehn grössten Süsswasserseen bis zu den fünf bevölkerungsreichsten Ländern der Erde.
  • Von der vielerorts bedrohten Bodenfruchtbarkeit bis zum Phänomen «Land Grabbing», bei dem reiche Investoren und Hedge-Fonds Ackerland, z.B. in Afrika, für die agroindustrielle Ausbeutung aufkaufen und bis zur vollständigen Zerstörung nutzen.

Wenn wir didaktisch reduziert vorgehen, fragen wir uns beispielsweise:

  1. Wie kann ich Erdkunde statt vollständig besser gründlich lehren?
  2. Was würden ich, wenn ich mir eine bestimmte Gruppe von Lernende vorstelle, auswählen, was würde ich bewusst weglassen?
  3. Wie gelingt es mir, die Lernenden im Fach Erdkunde zum Erkennen von «Mustern» zu führen?

Mit einer Metareflexion ein Thema verdichten und Zusammenhänge erkennen

Angenommen Sie leiten als Lehrperson für „Erdkunde“ in einer Oberstufenklasse eine Metareflexion, im Anschluss an die Bearbeitung des komplexen Themas «Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion».

Nehmen wir weiter an, Sie lassen die Klasse in Kleingruppen nach der Methode des «Problem basierten Lernens» arbeiten. In einem ersten Schritt werden das erlernte Wissen und die Lösungsansätze der einzelnen Gruppen zusammengetragen und gemeinsam kritisch reflektiert.

Die Notizen, die die einzelnen Teilnehmenden in den vorangegangenen Phasen aufgezeichnet haben, können jetzt genutzt werden. In der Regel braucht es Sie als Lehrperson, der diese Phase moderiert. Dabei achten Sie darauf, dass die ursprünglichen Beschreibungen des Problems aus der Beobachtungsphase (Phasen 1 und 2) nun sowohl auf die Darstellung als auch auf den Lösungsansatz bezogen wird.

Untersuchter Teil Reflexion Metareflexion
Informationsgehalt der Präsentation Welche Informationen gehören unbedingt zum Thema, was ist überflüssig? Nach welchen Kriterien legen wir fest, was als wichtig oder unwichtig gilt?
Art der Darstellung Wie sind die Informationen dargestellt worden? War die Art der Darstellung für das Thema geeignet, hat sie das Verständnis gefördert oder eher verstellt?
Brauchbarkeit der Information zur Problemlösung Haben die Informationen geholfen, eine Entscheidung über die Lösung des Problems herbeizuführen? Was sind die Auslassungen im Blick auf das Thema?
Untersuchter Teil Reflexion Metareflexion
Qualität der Lösung Ist die Lösung im Blick auf die zur Verfügung stehenden Informationen als gelungen oder sinnvoll zu bezeichnen? Welchen Interessen und Motiven entspricht die Lösung und weshalb wird sie als gelungen und sinnvoll (oder misslungen und sinnlos) eingeschätzt?
Zufriedenheit mit der Lösung Wie zufrieden ist jeder einzelne mit der entwickelten Lösung? Wo gibt es Unterschiede in unserer Gruppe und wie begründen sie sich? Wenn es keine Unterschiede bei uns gibt, wer könnte dann anderer Meinung sein?

Mehrstufige Metareflexion

Da es sich beim Thema «Klimawandel» um ein komplexes Thema handelt, das nicht durch feststehende naturwissenschaftliche Gesetze oder technologische Vorschriften geregelt ist, kann weder eine vollständige Ansammlung der Informationen noch eine vollkommene Lösung erwartet werden.

Nach meiner Erfahrung eignet sich darum eine mehrstufige Reflexion auf dem Weg zu Metareflexion.

Bei dieser Bearbeitungsweise kommt es vielmehr auf die Variabilität von Informationen und Lösungen im Hinblick auf gewählte Kontexte und Anwendungen an. Das Einbeziehen der Meta-Perspektive hilft, gegenüber Lösungen und Informationen nicht naiv zu sein. Es schütz auch davor, oberflächliches reproduktives Beschreiben und Lernen, wie wir es oft in traditionellen Lehrsituationen beobachten, zu vermeiden.

Falls es die Aufgabe der jeweiligen Gruppen ist, ein Portfolio oder eine Dokumentensammlung zu erstellen, empfehle ich, hier bereits zu Beginn der Aufgabe kurz anzusprechen, welches Material in das Portfolio übernommen werden kann und wo es noch Anpassungen geben muss.

Zum Abschluss dieser Phase könnte eine kurze Reflexion über die Methode des Metalernens stattfinden. So erhalten die Teilnehmenden wichtige Anregungen, die sie bei erneuter Anwendung dieser Methode einsetzen können.

Mögliche Themen könnten sein:

  • Was hat Ihnen an der Methode „Metalernen“ gefallen, was nicht?
  • Was könnte man Ihrer Meinung nach noch verbessern?
  • Wie hat das Arbeiten in Ihrer Gruppe funktioniert?
  • Würden Sie diese Methode weiterempfehlen?

Zum Abschluss dieses Beitrages passt eine Anmerkung des französischen Philosophen und Schriftstellers André Comte-Sponville. In seinen Büchern, unter anderem im Buch «Ermutigung zum unzeitgemässen Leben. Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte» (1996) bringt er Intelligenz und Komplexitätsreduktion zusammen. Kritisch hält er fest:

«Intelligenz ist die Kunst, das Komplizierte auf das Einfache zu reduzieren, nicht umgekehrt.»

Was sind Ihre Erfahrungen mit dem Thema Heuristik? Wie gelingt es Ihnen in der Erwachsenenbildung die Studierenden und Teilnehmenden mit Metareflexion zur Bearbeitung und „Vereinfachung“ von Komplexität anzuleiten?

 

 

 

„Den Transfer erhöhen – wie es Dozierenden gelingt, Veränderungen anzustossen“

„Die wichtigste Zeit im Seminar ist die Zeit nach dem Seminar!“ sagt der erfahrene deutsche Trainer Ralf Besser*.

Doch was nützt es, wenn die Teilnehmenden im Seminarfeedback Bestnoten verteilen, das Arbeitsumfeld für Veränderungen aber nicht bereit ist? Und schliesslich am Arbeitsplatz keine oder kaum Veränderungen zu beobachten sind?

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Wie geht es Ihnen, wenn Sie von kritischen Analysen von Bildungsforschenden lesen, gemäss denen der grösste Teil der guten Vorsätze, im Seminar von den Teilnehmenden noch voller Überzeugung verkündet, nach kurzer Zeit im Alltag bereits wieder verblassen?**

Wie effektiv sind Seminare wirklich?

Die wirkungsvollsten Weiterbildungen sind Impulse zur Veränderung, welche direkt in die Praxis hineinwirken. Durch meine langjährige Tätigkeit in der Erwachsenenbildung bin ich zur Überzeugung gelangt: oft ist anstelle eines klassischen Trainings eine Begleitung vor Ort wirkungsvoller. Erst wenn sich die Teilnehmenden sich mit ihren tatsächlichen Hindernissen und Herausforderungen in ihrem Arbeitskontext auseinandersetzen, lassen sich weitere Betroffene einbeziehen. So können neue, hilfreiche Absprachen stattfinden und konkrete Vereinbarungen getroffen werden. Durch eine Begleitung vor Ort können gemeinsame Erlebnisse auch besser integriert, am Arbeitsplatz geankert, in den vertrauten Kontext übertragen und später leichter erinnert werden.

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Eigentlich ist alles ganz einfach: Es geht bei dieser neuen und zukunftsgerichteten Art des transferorientierten Lernens darum, möglichst viele individuelle und relevante Lernerfahrungen vor Ort zu ermöglichen. Dafür braucht es Fachleute, welche die Lernprozesse konzipieren und begleiten. Und Auftraggebende und Teilnehmende, die interessiert sind, die Trainingswirksamkeit in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen zu setzen.

Doch leider zwingen die Rahmenbedingungen in den Firmen und Organisationen noch viel zu oft zu klassischem Seminarbetrieb. Statt um Lernerfolg geht es darum, ein Programm abzuspulen und minimale Absenzen am Arbeitsplatz zu generieren. Der Transferprozess bleibt ungesteuert und dem Zufall überlassen – der Transfererfolg bleibt aus.

Fachleute für transferwirksame Trainings

Auch wenn es im Kern stets um diese zwei Fragen geht …

  1. wie werden Weiterbildungsvorhaben in die bestehenden Prozesse im Betrieb integriert
  2. welche wichtige Rolle sind Vorgesetzte und Teammitglieder bereit zu übernehmen, damit Veränderung und damit Nachhaltigkeit möglich wird, beschreiben die eingangs erwähnten Autoren, wie zum Beispiel Ralph Besser in seinem Buch Methoden und Übungen, die den Transfer hauptsächlich in Seminaren sicherstellen. Obwohl er und wir alle eigentlich davon überzeugt sind, dass es überzeugendere Veränderungsstrategien und Konzepte gibt. Bei denen das Team, die Abteilung, die Bereichsleitung, die Personalentwicklung und letztlich die ganze Firma involviert sind

… stehen die wenigen Autoren und Trainer, die sich –so wie ich – dem Thema „Transferwirksamkeit“ verschrieben haben, vor einem Dilemma:

Idealerweise würden Mitarbeitende über eine gut ausgebaute Praxisbegleitung, ein Coaching und eine persönliche Unterstützung in Veränderungsprozessen verfügen. Doch die Realität sieht, wie oben angedeutet, oft ganz anders aus. Anna Langheiter, eine erfahrene Trainerin aus Österreich, bringt es auf den Punkt:

„Viele Trainer, die sich als transferorientiert bezeichnen, sind es nicht. Denn die einzig wahre Transferorientierung zeigt sich erst nach dem Seminar.“

(Interview mit Dr. Ina Weinbauer-Heide vom 4.4.18).

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Yvo Wüest, Autor „Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren“

Doch was meinen wir überhaupt mit Transferwirksamkeit? Trainerkollegen und Dozierende geben ungefähr diese Definitionen:

  • Transfer ist das, was vom Kurz- in das Langzeitgedächtnis und dann in das Verhalten geht.
  • Transfer ist das das, was von dem, was ich als Input gebe, umgesetzt wird.
  • Gelerntes in einer Situation, in den Alltag integrieren und anpassen.
  • Die Praxis in das Seminar holen.
  • Die Realisierung der Zielsetzung.
  • Impulse geben; Mut machen, dass die Teilnehmenden etwas umsetzen.
  • Transfer bedeutet, das Gelernte praktisch umzusetzen.
  • Etwas rüberbringen.
  • Beantwortung der Frage: Was nehme ich mit und was setze ich um?

Es geht folglich um Methoden, welche die persönliche innere Klärung der Teilnehmer und die Klärung des Kontextes zum Inhalt haben. Die Umsetzung in die Praxis bedingt auch die Eigenmotivation der Teilnehmer.

Die (transferorientierte) Haltung des Trainers, der Trainerin ist wichtig.

Es ist wichtig, wach und radikal den eigenen Stil und die gerne verwendeten Methoden, sowie die persönliche Art zu trainieren zu hinterfragen, im Hinblick auf erfolgreichen Transfer. Hilfreich kann es hier sein, aus der Sichtweise eines Teilnehmers, die Wirksamkeit eines Seminars kritisch zu beurteilen.

Gutes Motto: „Was hilft, ist genau das Richtige!“ Manchmal ist es ein Vortrag, manchmal eine selbständige Aufgabe, manchmal eine Gruppenübung, ein anderes Mal eine persönliche Klärung.

„Die besondere Herausforderung beim Thema Transfer ist, dass Firmen, Trainer und die Teilnehmer selbst sich häufig Ihrer Rolle beim Transfer nicht bewusst sind. Transfer kostet Zeit und Geld und braucht vor allem einen Change im Mindset!„

Anna Langheiter, im Interview mit Dr. Ina Weinbauer-Heidel am 4.4.18

Fazit: Für Trainer, Dozierende und Kursleitende lohnt es sich, möglichst viele Stellhebel der „Transferwirksamkeit“ zu kennen. Lehrende werden damit zu einem „Sparring- und Entwicklungspartner für ihre Auftraggeber. Sie können diese darauf hinweisen, worauf es ankommt und wer in den Lernprozess einbezogen werden muss, damit ein Lernerfolg erzielt wird. ***

Lehrende, die so sprechen und handeln, machen deutlich: die Transferverantwortung liegt nicht allein beim „Alleskönner“, der als Trainer oder Dozentin vor der Gruppe steht. Sondern die Teilnehmenden müssen auch ihren Beitrag (Transverantwortung) leisten, ebenso wie die Organisation und damit die Vorgesetzten. Idealerweise haben.

Damit wechselt in einem solchen Kontext die Rolle von Lehrpersonen: Statt als Dozentin oder Dozent geht es darum, sich als Beraterin oder Partner für lehrreiche, transferwirksame Bildungsangebote zu engagieren. Mit passenden Instrumenten, Massnahmen und Interventionen im Repertoire.

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Was bedeutet dies alles für mich? Welche Gedanken begleiten mich, wie gehe ich als Trainer konkret vor?

  • Bei meinen offenen Seminaren bedeutet Transferwirksamkeit: Ich halte auch über das Seminar hinaus mit meinen Teilnehmenden Kontakt.
  • Bei geschlossenen Seminaren heißt Transferorientierung für mich, den Auftraggeber dazu zu bewegen, den Transfer im Anschluss an das Training (z.B. durch ein ausführliches Auswertungs- und Massnahmengespräch) selbst zu begleiten.
  • Am Ende liegt die Verantwortung bei der Auftraggeberin, den Beweis zu erbringen, den Transfer wirklich zu leben.
  • In meinen Trainings stelle ich allerding die Weichen und gebe mein Bestes, das dies auch gelingt.

Konkrete Massnahmen vor dem Training

  • Bei mir sind die Lernenden stets im Fokus und darum kläre ich bereits im Vorfeld, ob die Teilnehmenden tatsächlich Anwendungsmöglichkeiten für das Gelernte, beispielsweise in einem Projekt, erhalten.
  • Manchmal hilft die provokative und direkte Frage: „Geht es bei dieser Weiterbildung nur um Spass oder soll die Anstrengung wirklich etwas bringen?
  • Hilfreich ist das Schreiben von einem „persönlichen Vertrag“. Dabei werden die Teilnehmenden aufgefordert, ihre individuellen Lernziele und und Vorsätze zu formulieren. Oft spreche ich dann gleich von „Lerntransferzielen“, um klar zu machen: was zählt, ist die angestrebte und messbare Veränderung im beruflichen Kontext.

Konkrete Massnahmen während des Trainings

  • Hilfreich kann auch eine eigens eingerichtete Transfer-App wie z.B. „Skill Hero“ sein. Diese erlauben es den Teilnehmenden auch nach dem Seminar mit der Kursleitung in Kontakt zu bleiben. Ihre Anwendung wird idealerweise bereits im Kurs eingefädelt, damit die Hemmschwelle, sich damit zu beschäftigen, möglichst klein ist.
  • Durch die Vorbereitung von Tandemaufgaben, wird schon in der Lernphase der Transfer vorbereitet und geplant. Je zwei Lernende verabreden sich für die Zeit nach dem Kurs, um sich später, im eigenen beruflichen Umfeld, zu beobachten und beraten. Dies im Sinne einer fachlichen, aber auch sozialen Begleitung.

Konkrete Massnahmen nach dem Training

  • Bei der Methode „Feldarbeit“ geht es darum, dass Lernende die Chance erhalten, das Gelernte im Feld praktisch anzuwenden. Nach der Lehr- und Lernphase erhalten Teilnehmende einen Auftrag im „Feld“, d.h. in ihrer Praxis. Dieser kann wenige Stunden dauern, aber auch in Form eines längeren Praktikums erfolgen. Diese „Feldarbeit“ wird von der Lehrperson mehr oder weniger eng angeleitet und begleitet und später ausgewertet. Nachweise in Form eines Tagebuches oder ein Praktikumsbericht, können diese Reflexion unterstützen. Wichtig ist es, die Arbeit am Schluss mit konstruktiven Feedbacks zu würdigen.

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Meine Erkenntnis aus der langjährigen Trainertätigkeit: gemeinsam mit Auftraggebenden und den Teilnehmenden definierte und vereinbarte Transferziele stellen sicher, dass für alle Transfer-Beteiligten klar ist, wo die Reise hingeht. Und was der Nutzen davon ist. Genau dies ist der Ausgangspunkt für ein transferwirksames Training.

Sind Sie interessiert, den Transfer bei Ihren Mitarbeitenden und Teilnehmenden zu fördern? Möchten Sie herausfinden, welche Stellhebel der Transferwirksamkeit für Ihre Situation angemessen und passend sind? Kontaktieren Sie mich, damit wir Ihr Anliegen besprechen können: yvo.wueest(at)bluewin.ch

 

*Besser, Ralf: Transfer: Damit Seminare Früchte tragen. Strategien, Übungen und Methoden, die eine konkrete Umsetzung in die Praxis sichern, Beltz 2002.

**Nur 10 bis 30% des im Training Gelernten wird tatsächlich gewinnbringend am Arbeitsplatz eingesetzt schätzen z.B. die beiden Forscher Baldwin T.T. & Ford, J.K. 1988 (siehe auch: Kauffeld, S.: Nachhaltige Weiterbildung. Betriebliche Seminare und Trainings entwickeln, Erfolge messen, Transfer sichern: Springer 2010).

***Weinbauer-Heidel, Ina: Was Trainings wirklich wirksam macht. Zwölf Stellhebel der Transferwirksamkeit, Tredition 2016

 

Krishna-Sara Helmle: Textöffnerin aus Leidenschaft

Briefe von Amtsstellen, Texte mit Fachbegriffen, medizinische Befunde: viele Menschen  erleben Sprache in verschiedenen Situationen als Barriere. Leichte Sprache eröffnet mit einfachem und klarem Deutsch Menschen den Zugang zu Informationen.

Die Zielgruppen für Texte in Leichter Sprache sind vielfältig: Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen die nicht gut lesen können, Menschen aus anderen Sprachgebieten. Leichte Sprache nutzt aber auch denjenigen, die zum Beispiel Post von Behörden 2-3 Mal lesen müssen, um sie zu verstehen. Hand aufs Herz – dazu gehöre ich auch manchmal.

Aus der Perspektive der „Didaktischen Reduktion“ ergeben sich beim Konzept „Leichte Sprache“ viele Gemeinsamkeiten: Stoffmengen reduzieren, auf den Punkt kommen, Lesenden, Lernenden und Studierenden den Zugang zu komplexen Inhalten vereinfachen.

Krishna, wir haben uns 2016 auf einem Kongress in Berlin kennen gelernt. Du bist ebenfalls Übersetzerin und Trainerin, dazu Texterin und Spezialistin für Leichte Sprache. Woher kommt deine Leidenschaft für das Thema?

Meine Leidenschaft für die Leichte Sprache hat im Wesentlichen zwei Quellen. Erstens mag ich gut geschriebene, klare Texte. Ich glaube, ich habe ein gutes Sprachgefühl, das ich durch das Korrekturlesen vieler Texte über die Jahre hinweg immer weiter geschult habe.

Zweitens mag ich Gerechtigkeit. Viele Menschen sind von einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft nur deshalb ausgeschlossen, weil sie Texte und Informationen nicht verstehen. Das geht mir mächtig gegen den Strich.

Durch meine Arbeit kann ich zu mehr Gerechtigkeit beitragen und gleichzeitig mit Sprache arbeiten. Diese Kombination hat sich als Traumberuf und Berufung gleichzeitig herausgestellt.

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Krishna-Sara Helmle, Spezialistin für „Leichte Sprache“

Du hast Germanistik, Franko-Romanistik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Mannheim, Freiburg und Paris studiert. Du kennst dich in Marketing, PR und Journalismus aus. Worauf legst du beim Verfassen, Lektorieren oder Korrigieren von Texten besonders Wert?

Mir ist Klarheit und eine hohe Qualität wichtig. Mein Anspruch an einen Text ist der, dass jemand die Struktur sowie den Inhalt schnell und einfach begreifen kann, auch wenn sich diese Person mit dem Thema nicht auskennt. Gerade, wenn man für Menschen schreibt, die mit dem Thema noch nicht vertraut sind, sind eine klare Struktur und ein didaktisch sinnvoll reduzierter Inhalt ganz wichtig.

„Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ hören wir überall. Haha … dabei verstehen die Patienten oft nur die Hälfte. Wie hilfst du mit deinen Trainings für Leichte Sprache solchen Fachleuten, ihre Sprachkompetenz zu erweitern?

In meinen Trainings geht es zum einen darum, die Teilnehmenden für ihren eigenen Sprachgebrauch zu sensibilisieren. Das bedeutet, wir schauen uns erst einmal an, welche Fachbegriffe und welche (Fach)Sprache sie gegenüber ihren Kunden, Klienten, Patienten oder neuen Mitarbeitern verwenden. Sie probieren beispielsweise auch aus, wie es ist, wenn man sich nicht gut verständigen kann.

Zum anderen geht es natürlich um die Regeln für Leichte Sprache. Diese stelle ich anhand von praktischen Beispielen vor. Die Teilnehmenden üben die Regeln dann oft an Texten aus ihrem eigenen Berufsalltag. Das sorgt immer wieder für Aha-Erlebnisse.

Durch die Sensibilisierung und das Handwerkszeug der Regeln für Leichte Sprache erweitern die Fachleute ihr sprachliches Repertoire. Sie sprechen dann mit anderen Fachleuten weiterhin ihre berufsspezifische Sprache, sind aber in der Lage, mit Laien in einfachen Worten zu sprechen. Das klingt erst einmal banal, erfordert aber tatsächlich einiges an Übung.

Es ist eigentlich ähnlich wie wenn man eine Fremdsprache lernt. Darum sind einmalige Interventionen wie ein Vortrag oder ein eintägiges Seminar zwar gute Impulse. Für eine nachhaltige Veränderung der professionellen Sprachfähigkeit ist jedoch Wiederholung ganz wichtig. Das erkennen immer mehr Kunden von mir und buchen gleich eine komplette Seminarreihe.

Textbeispiel für Standardsprache:

Sie sind ungewollt schwanger und befinden sich in einem Konflikt?

Übersetzt in Leichte Sprache:

Sie sind schwanger. Sie bekommen ein Kind. Vielleicht ist das ein Problem für Sie.

Du hast den Firmennamen „Textöffner®“ gewählt. Du schreibst, für dich bedeutet das Übersetzen in Leichte Sprache einfache Umschreibungen für gängige und für fachsprachliche Begriffe zu finden. Welche konkreten Empfehlungen gibst du Fachpersonen, die Texte lesefreundlicher gestalten möchten?

Ein lesefreundlicher Text soll einladend sein, soll zum Lesen verführen, auf den Inhalt neugierig machen. Das Wichtigste ist eine klare Struktur. Je nach Länge des Textes brauchen wir ein Inhaltsverzeichnis und eine Zusammenfassung, damit die Leser sich orientieren können. Der Text selbst sollte gut gegliedert sein, zum Beispiel in nicht allzu lange Abschnitte. Die Sätze sollten lieber kürzer als länger sein. Als grobe Faustregel kann man sich 10-15 Wörter pro Satz merken. Was darüber hinaus geht, ist für den Leser schwieriger zu erfassen.

Ein guter Text sollte Fachbegriffe allgemeinverständlich erklären. Natürlich kommt es hier auf die Zielgruppe an. Aber auch Fachleute freuen sich, wenn ein Begriff erklärt wird, denn nicht jeder kennt automatisch alle Fachbegriffe.

Ein gut strukturierter und verständlicher Text lädt also zum Lesen ein. Er vermittelt dem Leser eine gute Orientierung sowie das Gefühl, schnell und einfach zum (Lese)Ziel zu kommen. Ein kompetent auf die Zielgruppe zugeschnittener Text gibt dem Leser zusätzlich das Gefühl, auch wirklich gemeint und willkommen zu sein.

An der DIDACTA 2017 in Stuttgart und bei vielen anderen Gelegenheit stehst du als Vortragsrednerin vor Publikum. Gibt es bei deinen Vorträgen auch kritische Stimmen zu deinem Vorhaben, die deutsche Sprache leichter und zugänglicher zu gestalten?

Selbstverständlich gibt es immer wieder kritische Stimmen. Am meisten verbreitet ist die Angst, dass durch die Einführung von Informationen in Leichter Sprache die deutsche Sprache an Reichtum und Qualität verliert. „Sollen wir jetzt nur noch Leichte Sprache sprechen? Wir, im Land von Schiller und Goethe?“ So oder so ähnlich höre ich das durchaus manchmal.

Bei Leichter Sprache geht es jedoch darum, ein zusätzliches Angebot zu schaffen. Texte in Leichter Sprache sind gleich zu werten wie eine Übersetzung in Französisch oder Italienisch. Oder wie eine Rampe, die zusätzlich zu einer Treppe an einem Gebäude angebracht ist.

Frau Professor Dr. Christiane Maaß von der Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim hat einen ganzen Katalog von kritischen Fragen zusammengestellt und sehr kompetent beantwortet. Diesen finden die Leser unter diesem Link.

An welche Situation aus deiner Tätigkeit als „Textöffnerin“ erinnerst du dich besonders gerne? Anders gefragt: Wie hältst du das „Feuer für deine Leidenschaft“ warm?

Es gibt in Seminaren immer wieder solche magischen Momente. Da geraten die Teilnehmenden und ich gemeinsam in einen Flow. Sie erfassen und verstehen dann nicht mit dem Verstand sondern mit dem Herzen, worum es mir geht: Nämlich dass diese Regeln für Leichte Sprache nur Mittel zum Zweck sind für mehr Gerechtigkeit in der Welt.

In meinem Kalender stand am 1. Januar dieses Jahres ein Zitat von der Ärztin Veronica Carstens: „Dein Ziel wird dich finden.“ Das Ziel, Leichte Sprache in der Welt zu verbreiten, hat mich auf jeden Fall gefunden!

Wenn du aus Deutschland in die Schweiz schaust: Gibt es in der Deutschschweiz auch für dich sprachliche Barrieren und Herausforderungen?

Ich habe gehört, dass die Deutschschweiz noch eher am Anfang sei was die Verbreitung von Leichter Sprache angeht, besonders in den Behörden. Ich denke, da gibt es eventuell noch die eine oder andere Barriere zu überwinden. Die einzige wirkliche Barriere befindet sich ja in den Köpfen der Menschen. Das Bewusstsein dafür zu öffnen, dass leicht verständliche Texte und Informationen für sehr viele Menschen nützlich sind, ist immer eine Herausforderung, nicht nur in der Schweiz.

Was ich in der Schweiz als spannende Herausforderung sehe, ist die Mehrsprachigkeit. Ich vermute, nicht jeder aus der italienischen oder französischen Schweiz kann Deutsch. Und nicht jeder deutsche Text wird automatisch ins Französische, Italienische und Rätoromanische übersetzt. Da habt Ihr ja schon innerhalb des Landes eine recht große Zielgruppe für leicht verständliche Texte.

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Im November 2017 ist dein neues Fachbuch „Leichte Sprache – Ein Überblick für Übersetzer“ erschienen. Welches Publikum wünschst du dir für dieses Buch und was ist dein Anliegen?

Meine Motivation, dieses Buch zu schreiben, war, dass es in Deutschland zwar viele Bücher in Einfacher und Leichter Sprache gibt, aber wenige über diese vereinfachten Varianten der deutschen Sprache. Die bisher vorhandenen sind alle eher auf einem wissenschaftlichen Niveau verfasst. Es gab noch kein einfach verständliches Buch über Leichte Sprache. Diese Lücke wollte ich füllen. Ich habe mein Buch zwar nicht in Einfacher oder Leichter Sprache geschrieben, habe aber auf eine gut verständliche Sprache geachtet.

Als ursprüngliche Zielgruppe hatte ich Übersetzerinnen und Übersetzer im Blick, die darüber nachdenken, Leichte Sprache zusätzlich in ihr Leistungsangebot aufzunehmen. Diesen wollte ich die Möglichkeit bieten, sich erst einmal einen schnellen Überblick über die ganze Thematik zu verschaffen.

Nun höre ich immer wieder, dass auch Menschen aus ganz anderen Fachgebieten mein Buch mit Genuss lesen und daraus Nutzen für ihre Arbeit daraus ziehen. Das freut mich natürlich.

Die wichtigsten Regeln für Leichte Sprache

·       Kurze Sätze

·       Nur eine Aussage pro Satz

·       Aktiv formulieren statt passiv

·       Vorsicht mit Sprachbildern, Sprichwörtern oder Ähnlichem

·       Fachbegriffe oder Fremdwörter durch einfache Begriffe ersetzen oder kurz

erklären

·       Abkürzungen zunächst ausschreiben und  erklären

·       Texte übersichtlich gestalten und zielgruppengerecht illustrieren

Hinweis zum Buch:

Auch wenn es bereits einige Bücher in Leichter Sprache gibt, fehlte ein einfach zu lesendes Fachbuch über diese vereinfachte Variante der deutschen Sprache. Das Buch von Krishna-Sara Helmle liefert einen Überblick über das Thema und zeigt, wie man Leichte Sprache in der eigenen Arbeitspraxis einsetzen kann.

Liebe Krishna, herzlichen Dank für dieses Interview und ich wünsche dir mit deinem Buch und deinen Trainings in Deutschland und in der Schweiz weiterhin viel Erfolg!

Neues Fachbuch „Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren“

Am 31. Mai 2017 erscheint im SPEKTRAmedia-Verlag mein zweites Fachbuch zum Thema „Didaktische Reduktion“. Version 11 des Manuskripts geht diese Tage in den Druck. Die Auflage beträgt 2000 Ex. und ich bin guter Dinge, dass die kleinen handlichen Bücher rasch ihr Publikum finden. Bereits im Vorfeld habe ich mehrere und zum Teil grössere Bestellungen aus meinem Netzwerk erhalten. In diesem Artikel berichte ich über meinen Schreibprozess und veröffentliche erste Textbeispiele.

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Während mein erstes und bereits vergriffenes Buch „Reduziert gewinnt!“ noch 164 Seiten hatte, kommt das neue neue Buch mit 52 Seiten schlanker, direkter … eben auf den Punkt gebracht, daher.

Zusammen mit dem Verlag wählten wir einen besonderen Fokus:  während sich mein letztes  Fachbuch an Berufsschullehrende und Fachdozenten richtete, spreche ich mit „Auf den Punkt …“   ein neues und breiteres Publikum an: Lesende aus dem Bereich HR, Personal Development und alle, die vor Publikum präsentieren wollen.

Während im ersten Buch autobiographische Erfahrungen aus der Lehrerfortbildung in Kuba aufscheinen, die sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, ist das HRM-Dossier Nr. 76 auf Nüchternheit getrimmt.

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Dazu nahm ich auch Abstand von der freieren und mitunter humoristisch eingefärbten Schreibweise im ersten Buch. Beispielsweise gefiel mir damals diese Passage auf Seite 72 besonders gut:

     In Zusammenarbeit mit der KEA (Kuba Esperanto-Asocio, KEA) führen wir gerade die dritte Reihe von „Train-the-Trainer-Seminaren“ in Kuba durch. Eine Gruppe von freiwilligen und erfahrenen Sprachlehrerinnen und Lehrern erarbeiten mit den kubanischen Kolleginnen und Kollegen neue Möglichkeiten für die Vermittlung dieser „Kunstsprache“.

 Gut in Erinnerung geblieben ist mir eine Gruppe österreichischer Freiwilliger, die mit ihrem Humor mehrere Türen öffneten und mit unerreichter Schlagfertigkeit glänzten. So antworteten die Männer der Gruppe irgendwann stur auf alle „Where are you going?-Einladungen“ kubanischer Strassenschönheiten so: „I’m going to see your mother!“.

 Und als bereits zum fünften mal in einem nur für ausländische Gäste reservierten Hotelrestaurant eine lokale Kapelle an unseren Tisch trat und das Lied „Guantanamera“ anstimmen und schwungvoll lärmig losmusizieren wollte,  fragten Sie flugs den Chefkellner, ob es auf dieser Insel eine offizielle „Reduktion an Musikstücken“ gäbe. Eine „Reduktion“, die neben dem Evergreen „Guantanamera“ einzig „Chan chan“ und  „Comandante Che Guevara“ zulassen würde.

 Damit hatten sie natürlich einen Nerv getroffen: Denn Musik ist in Kuba tatsächlich nicht nur ohrenbetäubender Lärm. Sie ist das Element, in dem die Kubanerinnen und Kubaner leben, arbeiten und Schlange stehen. Ausserdem ist sie das Medium, mit dem die Inselbewohner ihre karibische Freude am Leben und überhaupt ihre sonderbare Lust an infernalischen Klangteppichen feiern.

Als ich bei der Vorbereitung des neues Manuskripts diese alten Textstellen überflog, merkte ich selbstkritisch an, dass hier offensichtlich meine Leidenschaft für das Thema am Grundgedanken der Reduktion vorbeigeschrammt war. Beispielsweise hier:

     Die mitreissenden Rhythmen verdankt die kubanische Musik übrigens ihren afrikanischen Wurzeln: Rumba, Cha-cha-cha, Mambo … das charakteristische Geklopfe, Geklappere, Gerumse und Geraspele wird auf Perkussions-Instrumenten aus Holz und Kürbissen erzeugt. Dazu spielen die Kubaner Gitarre oder Tres (eine kleine Gitarre mit früher drei, heute meist zwei Saiten), gern auch Blasinstrumente, sofern sie genügend laut sind um die anderen Instrumente zu übertönen.

       Die österreichischen Lehrkräfte bemerkten als Erste den für Kuba typischen Wechselgesang von Sänger und Chor. Obwohl sich die unterschiedlichen Stile für ungeübte Ohren alle gleich anhören, sind sie für den „Profi“ leicht zu unterscheiden: Der „Son“ treibt mehr, der „Mambo“ lässt die Hüften und Gedanken kreisen, die „Trova“ und der „Bolero“ sind dem Schmachten gewidmet. In der Salsa schliesslich mischen sich alle kubanischen Stile zu einer scharfen Sauce, erhältlich in den Geschmacksrichtungen „Mango“, „Guave“ und „Süsskartoffel“.

Dann auch an dieser Stelle, bei der mir mehrere Lesende mit Kubaerfahrung lachend zustimmten:

    Doch warum diese irrsinnige Lautstärke? Vielleicht ist es die Absicht der Kubaner, ihrem Erzfeind mit seiner erst unter Obama zaghaft und zaudern leicht gelockerten Wirtschaftsblockade, es musikalisch heimzuzahlen. In dem die Musik grundsätzlich so laut gespielt wird, damit sie auch auf den nahen Bahamas in Zimmerlautstärke hörbar ist…

Lehrerfortbildung II Kuba

Doch zurück zum Schreibprozess für das neue Buch „Auf den Punkt“: um die Reduktion auf 52 Seiten zu erreichen, setzte ich den Schwerpunkt auf einen guten Lesefluss und befreite den Kerntext von allen Störfaktoren oder Ablenkungen.

Immer wieder rief ich mir dazu die auch in meinen Trainings eingesetzte und im Buch beschrieben Aufgabe „Kernaussagen herausarbeiten“ in Erinnerung. Dabei müssen Teilnehmende ihr „Lehrthema“ auf eine Hauptbotschaft hin untersuchen und mit unterstützenden Einzelaussagen absichern. Diese Vorgehensweise hilft bei der Vorbereitung einer PowerPoint oder Präsentation. Im Buch sieht das so aus:

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Als graphische Illustration für die Arbeit mit Kernaussagen wählte ich das Fotostativ. Oft habe ich bei meinen Trainings in der Schweiz und im Ausland ein solches Stativ mit dabei.  Nach meiner Erfahrung, funktioniert diese „Metapher“ in jedem Kulturkreis: oben, die Kamera, repräsentiert die Haupt- oder Kernaussage. Unten die Beine, stehen für unterstützende Einzelaussagen. Vier Beine, wäre eines zuviel. Es reicht fast immer, mit einer Dreierstruktur zu arbeiten, um rhetorisch zu überzeugen und das Verständnis zu erleichtern.

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Zu meiner Freude willigte der Verlag ein, neben meinen von Hand gezeichneten Graphiken einige meiner bewährten Rasterblätter, leicht angepasst, ins Buch aufzunehmen. Beispielsweise erscheint gleich auf den ersten Seiten Raster, um die Bedeutung einer sorgfältigen Standortbestimmung zu Beginn eines Lernprozesses aufzuzeigen:

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Auch diesmal halfen mir beim Schreiben des neuen Fachbuches Erfahrungen aus vielen hundert Trainings zum Thema „Reduktion“ und kritischen Rückmeldungen der Teilnehmenden. So baute ich beispielsweise das Feedback einer Gruppe von Technikern und Ingenieuren ein, mit denen ich in Shanghai zum Thema „Reduction und Presentation Techniques“ arbeitete.

 

 

 

Fazit: das neue Buch überzeugt durch seine klare und durchdachte Struktur.  Es liefert leicht umsetzbare Hinweise & Tipps, wie eine Präsentation oder Lerneinheit ansprechend gestaltet und auf den Punkt gebracht durchgeführt werden kann. Lehrende und Vortragende gewinnen an Sicherheit; Teilnehmende und Lernende finden einen einfacheren Zugang zu komplexen Themen.

Wer das Buch kauft, erhält gleichzeitig Zugang zum Download-Bereich des Verlages. Dort legte ich mehrere hilfreiche Checklisten ab, beispielsweise zur Suche lizenzfreier Bilder oder zur Erweiterung der Auftrittskompetenz. Ich freue mich, wenn das neue Buch zur Reduktion inspiriert und zur Professionalisierung der Bildungsarbeit beiträgt.

 

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Inzwischen liegt „Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren“ in vielen Buchhandlungen, hier bei der Hirschmattbuchhandlung Luzern, zum Verkauf auf.

Auf Amazon sind bereits erste Rückmeldungen eingetroffen:

Rezension Jörg Eugster Auf den Punkt 4.11.18

 

 

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Den Video-Clip zu meinem neuen Fachbuch finden Sie auf meinem Vimeo-Kanal:

Oder auf meinem YouTube-Kanal:

No. 45 … or: “Truth is what your contemporaries let you get away with.”

In diesem Blog-Artikel geht es zur Abwechslung nicht direkt um „Didaktische Reduktion“, sondern manipulativen Sprachgebrauch. Das Zitat im Titel stammt vom US-amerikanischen Philosophen und Komparatisten Richard M. Rorty. Dieser gilt als Vertreter des Neo-Pragmatismus, der Philosophie ihre ursprüngliche lebenspraktische Bedeutung zurückgeben wollte, um so Orientierung und menschlichen Fortschritt zu fördern.

Weil ich mich als Übersetzer und Dolmetscher für Sprache und wie Menschen miteinander reden interessiere, aber auch weil ich es im Original besser fassen kann, wechselt mein Text vereinzelt von Deutsch auf Englisch.

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Anlass für den Beitrag lieferte mir die Einsetzung und das anschliessend über viele Kanäle rauschende Spektakel rund um den neuen President elect Donald J. Trump. Dessen Namen ich hier und im Folgenden reduktiv vermeiden will und ihn darum schlicht und einfach No. 45 nennen werde.

Würden dies möglichst viele Menschen und insbesondere die von ihm gescholtenen Lohnschreiber der „Fake-News“ tun, so meine Vermutung, könnte dies die grösste Strafe für seine offensichtlich narzisstisch gestörte Persönlichkeit bedeuten.

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Bereits früh erreichten uns vom späteren No. 45 viele verdrehte oder manipulative Botschaften:

Beispielsweise nutzte er während des Wahlkampfes nie einfach die Namen seiner Opponenten, wie z.B. “Ted Cruz,” “Marco Rubio,” or “Hillary Clinton”. Bei No. 45 waren dies stets “Lyin’ Ted,” (der lügnerische Ted), “Little Marco” und “Crooked Hillary” (die korrupte Hillary). Diese endlos wiederholten Beiwörter fassten Extra-Informationen in kleine, leicht memorisierbare Wortfetzen.

Dann auch die bis heute andauernde Selbstanpreisung und Wiederholung:

“I’m a leader. I’m a leader. I’ve always been a leader. I’ve never had any problem leading people. If I say do it, they’re going to do it. That’s what leadership is all about.”

In den letzten Tagen und Wochen überstürzten sich die Ereignisse und ich will hier nicht alle verrückten Aussagen und Tweets kommentieren, die anderswo bereits erwähnt wurden. Dafür an einen Gedanken von Peter Kann, langjähriger Redaktor und späterer Herausgeber des Wall Street Journals, erinnern:

“… facts are facts; that they are ascertainable through honest, open-minded and diligent reporting; that truth is attainable by laying fact upon fact, much like the construction of a cathedral; and that truth is not merely in the eye of the beholder.”

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Lob den Late Night Comedy-Shows …

In den ersten Wochen suchte ich wie viele meiner Freunde in den USA Trost in den populären Late Night Comedy-Shows von Trevor Noah, Stephen Colbert und Seth Meyers. Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, ob dieser parodierende und ironisierende Zugang der richtige ist, um dem Phänomen No. 45 zu begegnen.

Nun gut, lustig fand ich die Idee des Teams von Trevor Noah, einen elektronischen Transformer einzurichten, der die wirren Tweeds des erwachsenen No. 45 in bunte und harmlose Kritzelbotschaften eines ungefähr 7-jährigen Buben verwandelt:

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So ergaben die Aussagen auf einen ersten Blick zumindest halbwegs einen Sinn: der Schrei eines übergewichtigen und 70-jährigen Kindes, welches nie aufrichtige Wärme oder Liebe erfahren hatte:

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Sehr gelungen schien mir auch den Sketch von Melissa McCarthy in der Saturday Night Live Show SNL, welcher den Pressesprecher  von No. 45, Sean Spicer, auf’s Korn nahm:

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Interessante Überlegung zum Duktus und Sprachstil von No. 45 fand ich bei jüngeren Autoren, wie zum Beispiel Evan Puschak, der sich mit den Twitter-Botschaften und dem darin verwendeten Vokabular und Satzbau beschäftigte.

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Doch bald realisierte ich: ähnlich wie sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Deutschland 1945, nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes, um eine neue, vom Hass-Jargon befreite klare und einfache Sprache bemühten, geht es heute und insbesondere in der Nach-No. 45-Zeit darum, uns von dieser hässlichen, hetzerischen und manipulativen Sprache, die in den USA und auch bei uns um sich greift, zu distanzieren.

Interessant ist dazu die Analyse und das Gespräch mit dem Linguisten George Lakoff, der für folgende Graphik verantwortlich zeichnet:

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Eine Sprache des Widerstandes begründen

Und so wie die deutschen Intellektuellen damals realisierten, reicht es nicht, einige Verantwortungsträger vor Gericht zu stellen und die alten Strassenschilder wieder anzuschrauben: es braucht Menschen, die sich der Bedeutung einer achtsamen und präzisen Sprache, die befreiende und transformierende Potentiale freisetzt, bewusst zu werden.

An den Wittgenstein anknüpfend, für den es außerhalb der Sprache keine erkennbare Welt gibt, schrieb der zu diesem Gedanken eingangs zitierte Rorty:

„Da Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, da die Existenz von Sätzen abhängig von Vokabularen ist und da Vokabulare von Menschen gemacht werden, gilt dasselbe für Wahrheiten.“[38]

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Rorty stellte die These auf, dass Sprache Kontingent und eine Geschichte von Metaphern sei. In seinem Aufsatz „Kontingenz, Ironie und Solidarität (1989) erklärte er, dass Metaphern einen Überraschungseffekt ausüben können, vergleichbar mit dem Schneiden einer Grimasse in einem Gespräch.

Im Unterschied zur traditionellen Ironiekonzeption, in der Ironie als Mittel angesehen wird, der Wahrheit näher zu kommen, hat die Ironikerin bei Rorty (er benutzt bewusst die weibliche Form, um sich vom traditionellen Verständnis der Ironie abzusetzen) Zweifel und Distanz gegenüber ihrem bisherigen Vokabular.

Ironikerinnen, so Rorty, sind bestrebt, ihr Vokabular immer wieder zu erneuern und zu hinterfragen. Im privaten Bereich dient dies der Erschaffung des Selbst und fördert die Autonomie. Freiheit ist für Rorty darum die Einsicht in die Kontingenz. In die prinzipielle Offenheit und Ungewissheit menschlicher Lebenserfahrungen.

George Orwell sagte einmal: “To see what is in front of one’s nose needs a constant struggle.”

Wir alle haben die Verpflichtung hinzuschauen, was sich vor unserer Nase abspielt. Egal ob wir als Journalisten, Blogschreiber, Übersetzende oder in einem lehrenden Beruf unterwegs sind. Besonders aber, wenn wir uns als „Wissensarbeitende“ verstehen. Schliesslich geht es um intellektuelle Redlichkeit und wie wir als Gesellschaft eine Form finden, bei aller Differenz, miteinander konstruktiv umzugehen.

 

 

Reduktion … mit spitzer Feder!

Das Kabarett ist eine besondere Form der Kleinkunst. Oft werden dabei unterschiedliche Ausdrucksformen –Szenen, Monologe, Dialoge, auch Gedichte und manchmal Musik, miteinander verbunden.

Eine Abgrenzung zu Comedy und Stand-up-Comedy ist schwierig. Versuchen wir es so: Im Kabarett interessiert die zugespitzte Kritik an Politik und Gesellschaft. Comedy und Stand-up-Comedy hingegen, zeigen das komische Ringen von Einzelnen mit einem zunehmend komplexeren Alltag.

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Chris Rock, Stand-up-Comedy-Star aus Brooklyn

Im Kabarett wie auch in der Stand-up-Comedy beobachten wir Stilelemente wie Satire und Parodie, oft auch Sarkasmus und Ironie. Die Künstlerinnen und Künstler, die sich in einer oder in beiden Disziplinen bewegen, brauchen vor allem eines: den Mut, konsequent und einfach zu sein.

Ich geniesse alle die oben erwähnten Spielformen. Von Josef Hader bis Chris Rock. Und interessiere mich auch für die Logik, die dahintersteckt. Diese Tage lese ich darum das in Teilen empfehlenswerte Buch von Judd Apatow „Sick in the Head – Conversations About Life and Comedy“.Bildschirmfoto 2016-08-16 um 23.46.32

Es handelt sich um eine Art Dokumentation von Unterhaltungen über Unterhaltungen. Zusammengetragen von einem US-amerikanischen Filmemacher, Drehbuchautoren und Filmproduzenten. Einfacher erklärt: Rund 40 Interviews aus den letzten drei Jahrzehnten mit Landsleuten, die Komisches –am laufenden Band- produzier(t)en.

Ich nehme es gleich vornweg: die meisten Texte ärgern mich, denn viele Gesprächspartner simulieren mit ihren pseudoexistenzialistischen Spässchen Klugheit und transportieren doch nur flache Kalauer und Vulgarismen. Eine kritischere Haltung des Autoren den Interviewten „Grössen“ gegenüber, hätte den Texten gutgetan.

« Wenn du einem sieben Bälle zuspielst, fängt er keinen.

Spielst du ihm nur einen zu, hat er ihn bestimmt. »

Nadine Borter, Werbetexterin Agentur Contexta

Immerhin realisiere ich: wer glaubt, die Arbeit mache diesen Komikern ja vor allem Spass, irrt sich tüchtig. Der Spass macht vor allem Arbeit. Dann auch, neben der Schreiberei,  die zusätzlich Herausforderung, vor Publikum zu bestehen: Vor Menschen mit einem anderen Zugang zu Humor, einem anderen „Groove“ und anderen Erwartungen.

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Sketch mit Josef Hader aus dem Film „Aufschneider“

Bei der Lektüre merkte ich: es gibt bei der Satire, beim Humor, beim Kabarett und bei der Stand-up-Comedy Verbindungen zu „Didaktischen Reduktion“. Komik ist das Spiel mit Auslassungen. Immer geht es darum, aus einer Vielfalt auszuwählen. Kernbotschaften herauszuarbeiten. Komplexe Sachverhalte aufzubereiten und sie ansprechend, oder „eingängig“, manchmal auch zugespitzt, einem bestimmten Publikum zu präsentieren.

« I’dont know if comedians know how to work an audience anymore. »

Chris Rock im Interview mit Judd Apatow, S. 66

Noch anspruchsvoller ist diese Aufgabe für Karikaturisten. Mit wenigen Strichen und einzelnen Worten, müssen sie zu Rande kommen. Meister der Verkürzung sind für mich die Duos Greser&Lenz, sowie Hauck&Bauer, die wiederholt in der TITANIC, im Spiegel Online, aber auch in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung publizieren. Letztgenannte erzählen in Ihrem Interview vom 23.8.16 im Deutschlandfunk über ihren kooperativen und reduktiven Schaffensprozess.

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Greser&Lenz, Die Welt vom 4.11.14

Während Bühnenkünstler viel Zeit für den Aufbau ihrer Geschichte brauchen und diese schrittweise oder unerwartet zur Pointe führen, müssen Zeichnerinnen und Zeichner ihre Botschaft in nur einem oder in ganz wenigen Bildern transportieren. Genial, wenn es ihnen gelingt, fast ohne Worte und Text -nur mit rasch hingeworfenen Strichen- ein Schmunzeln oder Lachen bei den Betrachtenden hervorzuzaubern.

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Krautreporter, 22.10.14

Wer bis hierher gelesen hat, versteht mein Dilemma: selbst mir als als Trainer und Fachbuchautor fällt es schwer, das Phänomen in einfachen Worten zu umschreiben. Dabei bin ich gerade daran, dieses Thema, Reduktion mit Humor und Elementen aus der Stand-up-Comedy, bei der im Mai 2017 erscheinenden überarbeiteten Neuauflage meines Fachbuches, stärker zu gewichten.

Unter dem Titel „Reduziert, Didaktische Reduktion für Trainer, Ausbildende und Lehrende“ führe ich in der neuen Auflage auch Beispiele auf, wie eine humorvolle Haltung den Zugang zu Menschen und Themen vereinfachen und erleichtern kann.

Körperlich kann sich eine humorvolle Lebenseinstellung in Form von einer Reduktion der Stresshormone auswirken. Aus der Psychologie erhalten wir Hinweise, dass Humor unsere Fähigkeit, mit Belastungssituationen umzugehen, stärkt. Gemeinsames Lachen stärkt den Zusammenhalt und hilft, Konflikte zu entschärfen.

« Denn Satire, wenn man sie nicht so eng fasst wie das Kabarett oder sich ihr im Wunsch nach rein unterhaltsamer Ablenkung nicht verweigert wie die Comedy, kann so viel mehr sein. So viel mehr, dass vielleicht Satire längst nicht mehr der richtige Begriff dafür ist. Nur mehr ein Hilfswort, um juristische Auseinandersetzungen aushalten zu können. Ein inhaltlich eher störendes Codewort für „Hier dürfen wir alles. »

Tim Wolff, Chefredakteur TITANIC, 1.9.16 Nitro

Wer in der Erwachsenenbildung und im Training die Entfaltung der Teilnehmenden unterstützen will, so meine Erfahrung, wird sich an den neuen Fallbeispielen und Hinweisen erfreuen, die ihm in der Praxis Unterstützung bei der Auswahl und Aufbereitung von Stoff und Inhalten bieten können.

Kunst reduzieren ? Wie Binnendifferenzierung gelingt

Diese Tage fand die Webseite des französischen Bloggers Arthur Coulet in den Sozialen Medien erneut viel Beachtung. In seinem ‘Gluten Free Museum’ zeigt er Bilder von bekannten und klassischen Künstlern, die er von „Weizen befreit“.

Bildschirmfoto 2016-04-15 um 10.36.18Die „Kornernte“ ist ein 1565 entstandenes Ölgemälde von Pieter Bruegel dem Älteren. Es kann im Metropolitan Museum of Art in New York bewundert werden. Ein unscheinbarer Birnbaum teil das Bild im Verhältnis des Goldenen Schnittes in einen grösseren linken und einen kleineren rechten Teil. Ein müder Erntehelfer ruht sich im Vordergrund genüsslich im Schatten des Baumes aus.

Arthur Coulet entschied sich, mit Airbrush-Technik alle glutenhaltigen Produkte aus den Kunstwerken zu tilgen. Nicht um sich einen Scherz über die „Gluten-frei-Bewegung“ zu machen, sondern aus purem Spass. In seinem reduzierten Bild sehen wir Wiese, Baum und ruhenden Mann. Die „Huffington Post“ schrieb begeistert: „Es ist Kunst, minus Gluten!“. Doch der Künstler wiegte ab und meinte, dass es ihm wirklich nur um das Vergnügen ging, dass er sich und anderen bereiten wollte.

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Mich hat seine Arbeit inspiriert, weiter über „Reduktionsmöglichkeiten“ in der Trainertätigkeit nachzudenken. In meinen eigenen Kursen und Seminaren zu „Didaktischer Reduktion“ frage ich die Teilnehmenden oft nach ihren Lieblingsthemen.

Um sie dann mit der Forderung „Kill your darlings“ zu konfrontieren.

Dabei geht es darum, dass fast alle Kursleitenden und Dozierenden ihr bevorzugten Themen haben, die sie immer wieder gerne einbauen und erzählen. Wer sich jedoch bei der Planung einer Bildungsveranstaltung ernsthaft um eine Teilnehmenden-Analyse gekümmert hat, sich überlegte, wer ist die Zielgruppe, was ist das Lernziel und mit welchem Zeitbudget kann ich rechnen … findet oft Hinweise, wie dringend der Bedarf an Reduktion ist. Er oder sie erkennt, ob das eigene Lieblingsthema wirklich passt oder besser ausgelassen wird.

Im Prinzip spielt es keine Rolle, mit welchem „Z“ wir beginnen. Doch es hat sich bewährt, die Teilnehmenden in den Mittelpunkt zu stellen. Diese können beispielsweise mit einer kurzen Umfrage über ihren Wissenstand, ihre persönliche Motivation und ihre Bereitschaft, eigene Beiträge beizusteuern, direkt angefragt werden. Dazu benutze ich gerne Google-Docs, oder, noch einfacher: Ein Umfragebogen auf der Plattform www.surveymonkey.com .

Sind die Fragebogen einmal erstellt, können sie einfach abgeändert und auf neue Bedürfnisse angepasst werden. Die Teilnehmenden erhalten einen Link und einen Hinweis, bis wann eine Rückmeldung erwartet wird.

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Mit dieser Vorgehensweise, gelingt es Trainern und Ausbildenden noch besser, auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden einzugehen. Sie bringen Themen und Beispiele, die näher an der Lebenswelt der Beteiligten liegen. Dadurch folgen sie der Forderung nach einer Binnendifferezierung. Durch den aktiven Einbezug der Lernenden, machen sie Beteiligte zu Betroffenen und legen die Grundlage für einen gemeinsam gesteuerten und verantworteten Lernprozess.

Marshall Rosenberg, ein Nachruf

Im Februar 2015 starb der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) Marshall B. Rosenberg im Alter von 80 Jahren. In diesem Beitrag fasse ich seinen Ansatz zusammen und würdige sein Schaffen.

Der Mann mit seinen Puppen

In den 90-er Jahren nahm ich an einer von Rosenberg geleiteten Weiterbildung teil und lernte ihn und seine berühmten Handpuppen, den Wolf und die Giraffe, kennen. In Erinnerung geblieben ist mir, neben seinen eindrücklichen Augenbrauen… diese beeindruckende Ruhe und Gelassenheit, mit der er unseren Fragen und Unsicherheiten im Umgang mit dem GFK-Konzept begegnete.

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„Wenn Sie es schaffen, eine reine Beobachtung wiederzugeben, tanzt die Giraffe. Steckt in Ihrem Satz eine Bewertung, heult nur ihr Wolf“.

Rasch verstanden wir: Die beiden Tiere stehen symbolisch für grundsätzlich verschiedenartige Kommunikationsstile. Der Wolf für den aggressiven, verletzenden Gesprächsstil. Die Giraffe, das Landtier mit dem grössten Herzen, für einen einfühlsamen und achtsamen Kommunikationsstil.

Kindheit und Jugend in Detroit

In einer kurzen Selbstvorstellung erzählte Rosenberg von persönlichen, bedrückenden Gewalterfahrungen aus seiner Kindheit und Jugendzeit. 1934 in Ohio, USA, geboren, zog er als Neunjähriger mit seinen Eltern nach Detroit. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er wiederholt von Mitschülern verprügelt. Er erlebte Ausschreitungen und Übergriffe von Sicherheitskräften gegen armutsbetroffene Menschen. Diese dramatischen Erfahrungen prägten seine Wahrnehmung. Er deutete sie als Einladung, sich intensiv mit menschlichem Konfliktverhalten zu beschäftigten. Er studierte klinische Psychologie. Er erforschte die Rolle der Sprache und untersuchte sogar die Wirkung einzelner Wörter in Konflikten.

Inspiration bei Rogers und Gandhi

Vieles, was ich bei Rosenberg hörte und später von ihm las, findet sich bereits bei seinem Lehrer und Vorbild Carl Rogers, Begründer der klientenzentrierten Gesprächstherapie. Im Unterschied zu Rogers interessierte sich Rosenberg stärker für Gruppen. Er fragte sich, wie Menschen ihre Fähigkeiten entwickeln können, Differenzen friedlich beizulegen. 1983 erscheint die erste Ausgabe von „A Model for Nonviolent Communication“, das wir damals im Training nutzten. Darin beschreibt er die vier grundlegenden Schritte der GFK und bezieht sich auf Gandhis Überlegungen zur Gewaltlosigkeit.

Buch

Er selbst sagte wiederholt: „alles, was in die GFK integriert wurde, ist schon seit Jahrhunderten bekannt. Es geht also darum, uns an etwas zu erinnern, was wir bereits kennen – nämlich daran, wie unsere zwischenmenschliche Kommunikation ursprünglich gedacht war.“

Die vier Schritte in Rosenbergs Gewaltfreier Kommunikation GFK

  1. Beobachtung schildern (ohne Bewertung und Interpretation)
  2. Meine Gefühle mitteilen (wie geht es mir dabei?)
  3. Bedürfnisse formulieren (was kommt bisher zu kurz, was brauche ich?)
  4. Eine Bitte äussern (immer nur als Wunsch, nie als Forderung formuliert!)

Rosenberg war überzeugt: Wenn Menschen erleben, dass sie in ihrer eigenen Motivation ernst genommen werden, sind sie eher bereit, ihr eigenes Verhalten zu modifizieren. Wenn sich Konfliktparteien auf einen solchen Kommunikationsstil einigen können, gelingt es ihnen trotz unterschiedlichen Meinungen und Vorstellungen in wertschätzendem Kontakt zu bleiben.

Eine Idee geht um die Welt

1984 gründetet Rosenberg in Albuquerque, New Mexiko, das Center for Nonviolent Communication (CNVC). In den folgenden Jahren startete er eine intensive Reisetätigkeit, die ihn in über 60 Länder führte, darunter Palästina, Afghanistan und Ruanda. Rosenberg arbeitete mit höchst unterschiedlichen Menschen und vermittelte zwischen verfeindeten Volksgruppen. So haben 1994 serbische Pädagoginnen und Psychologen, mit Unterstützung der UNICEF, ein mehrbändiges Werk zum Erlernen gewaltfreier Kommunikation für Kindergärten und Schulen entwickelt.

Rosenbergs Ziele

-Auflösung alter Muster wie Verteidigung, Angriff oder Rückzug

– Widerstand, Abwehr und gewalttätige Reaktionen reduzieren

– Differenzierung und Klärung von Beobachtung, Gefühl und Bedürfnis

-Förderung der Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Empathie

-Aufmerksamkeit in eine Richtung lenken, die es realistischer macht, einen Teil unserer Wünsche zu erfüllen

Zitat Rosenberg: „What I want in my life is compassion, a flow between myself and others based on a mutual giving from the heart.“ (Quelle: Nonviolent Communication: A Language of Life, 2003)

Wirkung im deutschsprachigen Raum

Besonders fruchtbar zeigten sich seine Vorträge und Trainings im deutschsprachigen Raum. Bis heute hat sich sein seit 2001 in 13. Auflagen erschienenes Buch „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ bereits 320’000 verkauft. Im Jahr 2014 behaupteten in einer Umfrage der Zeitschrift „managerSeminare“ 41% der befragten Trainer und Ausbildenden, das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg zu nutzen. Damit gehört der Ansatz der GFK vermutlich zu einem der beliebtesten Kommunikationsmodelle im deutschsprachigen Raum.

Das Vermächtnis von Rosenberg

Zu Beginn seiner Arbeit erweitert Rosenberg das Empathie-Konzept von Carl Rogers um drei neue Elemente. Er betrachtet nicht mehr nur den einzelnen Menschen, sondern setzt beim Gesamtsystem an. Er bleibt auch nicht bei den Emotionen „hängen“, sondern will über die dahinter liegenden Bedürfnisse sprechen. Schliesslich formuliert er das leicht zu erinnerndes Vierschritt-Raster, mit der Menschen besser miteinander über ihre Bedürfnisse verhandeln können.

In der modernen Arbeitswelt gelten feudale Strukturen als überholt. Bedürfnisorientiertes Verhandeln zeichnet kompetente Führungskräfte und funktionierende Teams aus. Rosenberg war für diese Entwicklung inhaltlich und didaktisch ein bedeutender Wegbereiter.

Konkrete Anwendung

Wer als Trainer oder in der Ausbildung arbeitet, kennt die Herausforderung, die „schwierige“ Teilnehmende bieten können. Rosenbergs Konzept hilft der Seminarleitung, die Motive hinter diesem „störenden“ Verhalten zu erkennen und angemessener zu reagieren. Denn manchmal laufen wir in der Lehrsituation Gefahr, eine Studierende oder einen Teilnehmer voreilig als arrogant, nervend und…störend abzustempeln. Der GFK-Ansatz sagt hier klar: Das wahrgenommene Verhalten mag der Auslöser für unsere Gefühle sein. Die tatsächliche Ursache für unsere negativen Gefühle liegt jedoch einzig bei unserer oft unbedachten und vorschnellen Bewertung.

Den hingeworfenen Knochen…nicht packen!

In meiner Weiterbildung bei Rosenberg hatte ich ein Aha-Erlebnis: Wirft mir jemand in einer Auseinandersetzung einen Knochen hin, muss ich ihn nicht packen. Schliesslich bin ich kein Hund. So kann ich z.B. auf einen Vorwurf „Du bist geistig abwesend und bringst dich in dieser Sitzung überhaupt nicht ein!“ gelassen reagieren. Meine Aufmerksamkeit haftet nicht auf dem Knochen, sondern wandert weiter zur Hand und von dort zur Werferin oder zum Werfer. Ich schenke mir Zeit zum tief durchatmen. Ich frage mich: Was fühle ich und denke ich? Welche Bedürfnisse hat die andere Person, was sind ihre Wünsche? Erst dann reagiere ich. Noch habe ich die Wahl und könnte auf der gleichen, vorwurfsgeleiteten Ebene antworten. Oder ich atme erneut tief durch…und lade mein Gegenüber ein, über Bedürfnisse zu sprechen. Gemeinsam prüfen wir, welche sich bald umsetzen lassen.

Hinter Konflikten stehen unerfüllte Bedürfnisse

Eine wichtige Grundannahme des GFK lautet: Wenn wichtige menschliche Bedürfnisse unerfüllt bleiben, können leicht Konflikte entstehen. Rosenberg zählte neben körperlichen Bedürfnissen wie Nahrung, Wohnung auch Wertschätzung, Mitgefühl, Zugehörigkeit und Autonomie dazu. Gelingt es uns, die Bedürfnisse der Konfliktparteien herauszuarbeiten und in angemessener Weise zu berücksichtigen, lassen sich Konflikte leichter lösen.

Zurück zur ursprünglichen Einfühlsamkeit

In Erinnerung geblieben sind mir seine Schilderungen aus der Versöhnungsarbeit mit israelischen und palästinensischen Polizisten., aber auch seine Begegnungen mit Anwälten, Regierungsbeamte und Pflegepersonal. Am Beispiel dieser eindrücklichen Erfahrungen zeigte Rosenberg, wie rasch in einer Region, einer Gesellschaft und sogar in Familien eine gefährliche Streitkultur entstehen kann. Mit ihren typischen Varianten von Verunglimpfung , Drohung, Angriff , Verteidigung oder Rückzug. Pointiert hielt Rosenberg fest: Dieses Verhalten ist erlernt. Und kann durch entsprechende Versöhnungsarbeit und Training auch wieder verlernt werden.

Auf sprachliche Feinheiten achten

Für Rosenberg spielt unsere Art zu sprechen eine Schlüsselrolle, um Konflikte zu bewältigen und generell einen einfühlsameren Umgang zu pflegen. Der bewusste Umgang mit der Sprache und das Nachdenken über unserer eigenen Gefühle, hilft uns wieder mit unserem natürlichen und oft verschütteten Einfühlungsvermögen in Kontakt zu treten. Kurz: Es geht um den Abschied von Kritik und Schuldzuweisungen und um die Hinwendung zu Wertschätzung und Mitgefühl.

Rosenberg fasste sein Vier-Schritte-Modell in zwei Sätzen zusammen:

„Wenn a, dann fühle ich mich b, weil ich eigentlich c brauche. Deshalb wünsche ich mir jetzt gerne d.“

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Einsatz in der Praxis

Was auf den ersten Blick einfach uns simpel erscheint, ist im Alltag schwierig umzusetzen. Ein grosser Vorteil liegt sicher darin, dass Rosenbergs Modell erstmals zu einer radikalen Verlangsamung der Kommunikation führt. Vieles, was später vielleicht bereut wird, verlässt so gar nicht erst den Sprechapparat. Besonders in einer emotional belasteten Situation ist die Gefahr groß, in alte Muster zurückzufallen und dem anderen Zuschreibungen und (Ab-)Wertungen zuzuwerfen. Andererseits könnte ein striktes Einhalten des Vier-Schritt-Rasters künstlich wirken und vom Gesprächspartner als zusätzliche Provokation verstanden werden.

Nach innen…und nach aussen hören

Erfahrene GFK-Anwenderinnen und Anwender sagten mir wiederholt: „Das Modell wirkt wie ein Kletterseil bei Bergwanderung. Du gehst deinen Weg im Gespräch mit grösserer Ruhe, hoher Selbstreflexion und immer ganz nah an der Felswand.“ Wobei mit Wand das heikle Thema, aber auch der schwierige Seminarteilnehmer gemeint sein kann. Eine Kollegin sagte mir:

„Wenn du dieses friedenstiftende, vom Herzen ausgehende Kommunikationsmodell flexibel einsetzt, bleibst du dir selber treu und gehst authentisch deinen Weg“.

Wer sich für das Vier-Schritt-Modell im Detail interessiert, dem sende ich gerne eine Zusammenfassung als PDF, welche die einzelnen Schritte ausführlich erklärt. Damit die Schritte wirklich in das eigene Repertoire übergehen, empfehle ich an einer Weiterbildung bei einer qualifizierten Trainerin oder Trainer teilzunehmen.

Storytelling…oder warum unser Gehirn Geschichten liebt

Eigentlich wissen wir es längst: Wenn wir eine Geschichte hören oder lesen, führen wir  verschiedene Geschehnisse dieser Geschichte „geistig“ aus. Oft sogar stellen wir uns die Handlung bildlich und in allen Farben vor.

Diese Tage war ich, wie viele Menschen, emotional berührt von den schrecklichen Ereignissen vom 7.1.15 in Paris. Underprivilegierte, verwirrte und emotional verhärtete Menschen verbreiteten Angst und Schrecken.

Charlie Hebdomadaire JeSuisCharlie CartoonUm mich etwas abzulenken und zu zerstreuen, las ich einen Artikel in der angesehen Zeitschrift „Psychological Science“. Dabei handelt es sich um eine „peer-reviewed“ Monatsschrift, die zu den verlässlichsten Quellen für Erkenntnisse aus der Neuropsychologie in den USA zählt.

In diesem Artikel, der bereits 2009 erschienen war und den Titel “Reading Stories Activates Neural Representations of Visual and Motor Experiences” trägt, halten die Forscher fest: Was in einer Geschichte passiert, „geschieht“ auch im Gehirn. Will heissen: Wir leben dort bis zu einem gewissen Grad die Geschichte ein zweites Mal aus.

Das Experiment mit den 28 Rechtshändern in St. Louis

Die Neuropsychologen an der Washington Universität in St. Louis setzten für verschiedene Experimente mit 28 Muttersprachlern leistungsfähige 3-T Siemens Visions Scanner (MRI) ein. Die Spielanlage beinhaltete, dass es sich um Rechtshändler handeln musste, die langsam und Satz für Satz eine Geschichte lesen mussten, bei der gleichzeitig die Gehirnströme gemessen wurden. Dies mit der Absicht herauszufinden, ob entsprechende Regionen durch einzelnen Abschnitte der Geschichte aktiviert wurden und mit einer stärkeren Durchblutung reagierten.

Ergebnis: Die Forscher fanden heraus, dass die Testpersonen in diesen Gehirnregionen besondere Aktivitäten zeigten, die auch im normalen Leben für die in der Geschichte geschilderten Vorgänge zuständig sind. Unterschiedliche Gehirnregionen reagierten auf unterschiedliche „Geschichts-Impulse“. Wenn der „Held“ der Geschichte sich bewegte, regte sich auch die Gehirnregion, die für Bewegung und Fortkommen zuständig ist. Wenn sich der „Held“ etwas vorstellte, zeigten sich Aktivitäten in jenen Regionen, die für Denkprozesse wichtig sind.

Präfrontaler CortexDie Rolle des Präfrontalen Kortex

Besonders spannend finde ich folgendene Erkenntnis: Wenn der Hauptdarsteller sein Ziel ändert, zeigten sich stärkere Reaktionen im Präfrontalen Kortex. Dieser Teil des menschlichen Gehirns wird oft mit der Fähigkeit, Ziele zu setzen und diese verfolgen zu können, in Verbindung gebracht. Typischerweise zeigen Menschen, die eine Schädigung des Präfrontalen Kortext erlitten haben, Schwierigkeiten darin, sich einfache Tagesziele zu setzen und diese erfolgreich zu realisieren. Ebenfalls beobachtete ich bei der Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Menschen, bei denen dieser Teil der Gehirnregion noch nicht vollständig ausgewachsen ist, exakt bei dieser Aufgabe (sich Ziele setzen und die Umsetzung der Ziele unverzüglich anzupacken) besondere Herausforderungen.

Wer eine Geschichte hört oder liest, verbindet in der Regel sein Weltwissen und seine Erfahrungen mit dem Stoff der neuen Geschichte. Die Forschungsergebnisse sagen dazu: Um die Geschichte „verstehen“ zu können, spielt das Gehirn die einzelnen Aspekte nochmals durch. Und Veränderungen in der Geschichte selber, spiegeln sich in veränderten Reaktionen in unterschiedlichen Hirnregionen.

Worauf Ausbildende und Lehrpersonen achten sollten

Storytelling hilft Lernenden, einen Sachverhalt geistig nochmals durchzuspielen. Wenn wir statt auf Begriffe, Zahlen und Fakten vermehrt auf Geschichten setzen, vereinfachen wir ihnen den Lernprozess. Durch diese „zweite Aufführung“ im Gehirn erstellen die Studierenden zusätzliche Verknüpfungen, verbreiten bestehende und speichern so Wissenselemente besser im Gehirn ab.

Meine persönliche Erkenntnis aus der Lektüre ist folgende: Eigentlich ist unser Gehirn ein lebendiges Datenverarbeitungssystem mit einer besonders effizienten „Software“, die umfangreiche Informationseinheiten gerne in Geschichten verpackt.

Und genau so wie eine gute Softwareentwicklerin gelobt wird, wenn ihr Programm…

  • grosse Datenmengen rasch verarbeitet
  • Informationen verdichtet
  • möglichst wenig Energie verbraucht
  • sichere Orientierung erlaubt
  • Fehler zulässt und trotzdem stabil bleibt
  • bei Teilausfällen trotzdem funktionsfähig bleibt
  • Mehrdeutigkeiten zulässt

verfügen wir Menschen mit dem Gehirn über dynamisches System, welches in Millionen Jahren gelernt hat, Informationen zu empfangen und weiterzugeben, ohne bei überraschenden Varianten gleich auszufallen.

Die höchste „Performanz“ zeigt sich aus meiner Sicht z.B. in der Fähigkeit, Ironie zu verstehen. Dazu ein Beispiel: Angenommen einem Kind passiert bei einem Familienausflug ein Missgeschick: Beim zweiten Auswurf bleibt ihm die Angelschnur der Fischerrute am Hut eines (noch) unbekannten anderen Hobby-Fischers hängen…

Stellen wir uns vor, dass dieser Vater, ohne dass das Kind sein Gesicht sieht, laut ausruft:

„Das hast du gut gemacht!“

Wenn das Kind in Sekundenbruchteilen in den verschiedensten Gehirnarealen nach Kurzgeschichten sucht, in denen die gehörten Zeichen von Bedeutung sind, wird es die Bedeung der väterlichen Aussage vermutlich verstehen. Wenn jedoch in seinem Repertoire kein Beispiel für Geschichten abrufbar ist, in denen eine Erwachsene Person nicht das meinte, was sie sagte, wird das Kind die Ironie nicht erfassen können.

Foto Junge unter Wasserstrahl

Nur das, was wiederholt vorkam oder tiefe emotionale Spuren hinterlassen hatte, wurde  im kindlichen Gehirn abgespeichert. Intuitiv wissen vermutlich alle Kinder dieser Welt, dass sie wohl über ein geniales „Starterkit“ verfügen, aber dieses Gehirn Stück für Stück mit weiteren Informationspaketen ergänzen müssen. Damit sie als Individuen in dieser Welt bestehen und sich reproduzieren können. Aber auch an veränderte Verhältnisse anpassen und dadurch überleben. Vermutlich ist dies der Grund, warum Kinder fragen:

  • Wie funktioniert die Welt?
  • Warum haben die Attentäter in Paris dies getan?
  • Wer bin ich ?
  • Wie muss ich mit anderen Menschen umgehen?
  • Wer beschützt mich, wenn ich bedroht werde?

Nur Antworten aus Geschichten sind klar und gleichzeitig auch undeutlich genug, um Varianten zuzulassen, sofern dies notwendig sein sollte. Storytelling…was uns als selbstverständlich erscheinen mag, ist vermutlich die genialste Erfindung der Evolution.

Quelle:
Speer, N. K., Reynolds, J. R., Swallow, K. M., & Zacks, J. M. (2009). Reading Stories Activates Neural Representations of Visual and Motor Experiences.Psychological Science, 20(8), 989–999. doi:10.1111/j.1467-9280.2009.02397.x

Microtraining-Sessions: Komprimierte Trainings in Kurzzeitformat

Statistiken zeigen: Von vielen betrieblichen Weiterbildungstrainings wird kaum mehr als 13% im Arbeitsalltag umgesetzt. Viel Aufwand – wenig Ertrag, könnten wir nüchtern festhalten. Aus gutem Grund versuchen Trainer und Auftraggeber schon länger, Seminare und Workshops so zu gestalten, dass ein maximaler Lerntransfer entsteht.

Doch wie gelingt das? Um diesen Transfer zu verbessern, ist nicht nur der Inhalt des Trainings relevant. Ebenso geht es darum, den richtigen Takt und die richtige Kombination von Workshop, Umsetzung im Alltag und Reflexion auf der Metaebene zu finden. Microtrainings (MTS) können diese Art von Lernprozess hilfreich unterstützen.

Bildschirmfoto 2014-12-04 um 12.27.59Für den Transfer braucht es alle

Microtraining Sessions verbinden „edutainment“, die unterhaltsame Vermittlung von Wissensinhalten, mit der Möglichkeit, eigene Erfahrungen in der Gruppe auszutauschen. Auf die Schnelle und zwischendurch. Die kurzen Lerneinheiten finden isoliert als autonome, kurze „Trainingshäppchen“ statt. Oder sie sind Teil eines strukturierten Programms mit klarem Zeitpunkt und definiertem Ablauf. Die Mini-Formate sind damit eine Ergänzung zu klassischen Weiterbildungen. Doch das Repetieren und Vertiefen finden nicht im Alleingang, sondern eben in der Gruppe statt. Immer mit dem Ziel, die angestrebten Verhaltensänderungen rasch in die Praxis zu integrieren.

Die Struktur einer typischen Microtraining-Session

Ein Microtraining besteht aus fünf Phasen und ist nach dem Prinzip des „active Learning“ aufgebaut:

Phase 1: Aufmerksamkeit erzielen.

Phase 2: Sinnfrage klären.

Phase 3: Wissens- und Infovermittlung

Phase 4: Let’s do it!

Phase 5: Messen des Lernerfolges

Während es in der ersten Phase darum geht, mit der ganzen Aufmerksamkeit in der kurzen Trainingseinheit anzukommen; klärt der Trainer oder die Trainerin in der zweiten Phase den Zweck und das „Warum“ der Veranstaltung. In der dritten Phase folgen theoretische Hintergründe und möglichst anschauliche und eingängige Tipps. In der vierten Phase, die zeitlich deutlich länger dauert, soll das eben Gehörte einzeln oder in Kleingruppen mit Bezug auf den eigenen Arbeitsbereich praktisch erprobt werden. In einer Auswertung vor Ort oder durch eine Begleitung am Arbeitsplatz wird in der fünften Phase geklärt, was erfolgreich umgesetzt wird.

Der beste Zeitpunkt ist…jetzt!

Microsession Trainings können vor einem Training genutzt werden. Dann geht es darin um die Vorbereitung der Lerninhalte. Mit dem Vorteil, dass die Lernenden am Seminartag auf einer annähernd gleichen Stufe rasch ins Thema einsteigen können. Beispiel: In einem Seminar zu Präsentationstechnik, wird so vorgängig das Wissen zu Planung, Einstieg, Durchführung und Abschluss von einem Referat geklärt oder aufgefrischt.

Dann ist auch ein Einsatz nach der Trainingseinheit sinnvoll: Hier sorgt das MTS für eine Verankerung der Inhalte und fördert den Lerntransfer. Beispiel: Anhand von konkreten Fällen aus der Praxis zeigen sich Schwierigkeiten in der Umsetzung, die in der Gruppe besprochen und geklärt werden können.

Schliesslich eignen sich MTS auch als selbständige Lerneinheiten: Die Verantwortlichen erhalten so die Sicherheit, im Gegensatz zu schriftlichen Unterlagen oder elektronischen Aufgaben, dass alle Lernenden vor Ort dabei sind. Diese wiederum können mit Fragen Unsicherheiten klären und sich mit dem Thema in der Gruppe auseinandersetzen.

Aufwand und Zeitbedarf

Ideal sind kleinere Gruppen von vier bis sechs Teilnehmenden. So kann sich niemand „verschlaufen“ und eine Diskussion ist leichter möglich. Je nach Lernziel braucht es 15 bis 60 Minuten. Oft ist es ratsam, eine längere Trainingseinheit in zwei Sequenzen zu 30′ aufzuteilen.

Bewährt haben sich Formate wie z.B. „Coffee-to-Learn“ (statt „to go“) eine Viertelstunde vor oder nach Arbeitsbeginn, bevor die Mitarbeitenden in die Hektik des Alltags eintauchen. Ebenfalls eignen sich „Lunchbag-Sessions“, bei denen ein Sandwich, Apfel und ein Getränk offeriert werden und die MTS über den Mittag läuft. lohnt es sich, einen geeigneten Zeitpunkt zu definieren, der sozial verträglich ist -für Mitarbeitende mit familiären oder freundschaftlichen Pflichten- und dieses anschliessend beizubehalten.

Vorbereitung für’s Training

MTS bieten viele Vorteile. Doch die Vorbereitung ist nicht zu unterschätzen. Damit weder die Trainerinnen oder Trainer, noch die Mitarbeitenden unnötig unter Druck geraten, sollen die Termine in der Arbeitsplanung berücksichtig und als Arbeitszeit abgegolten werden. Alle beteiligten gehen dann mit der notwendigen Ernsthaftigkeit an die Sache und die Absichtsbekundung zur Weiterbildung transformiert sich in Realität.

Wer sich für das Thema interessiert, findet im aktuellen Buch von Barbara Illi aus dem Verlag ManagerSeminare (2014) wertvolle Informationen: Microtraining Sessions. Kompromierte Trainings in Kurzzeitformat.