HR Today Nr. 9/2019 publizierte in der Rubrik „Digitale Weiterbildung II“ meinen neuen Fachartikel „Digitaler Wandel zwingt zur Reduktion“.
Drei Kernaussagen ziehen sich wie einen roten Faden durch den Artikel:
- Personalentwickler und HR-Verantwortliche müssen sich auf veränderte Erwartungen neuer Generationen einstellen.
- Der Einsatz von Lernplattformen und die Nutzung mobiler Geräte in der beruflichen Weiterbildung verlangen neue und reduktiven Formate.
- Lernstoff muss reduziert, Komplexität vereinfacht und herausfordernde Themen müssen anschlussfähig aufbereitet und gelehrt werden.
Wie sich die Bildungsarbeit mit der Digitalisierung verändern wird
Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten des Lehrens und des Lernens. Während «früher» die Zugangsvoraussetzungen für bestimmte Berufe und Tätigkeiten klar definiert waren, ist gesichertes Wissen heute nicht mehr zwangsläufig an Expertinnen und Experten gebunden, sondern über das Internet in Echtzeit verfügbar. So können Mitarbeitende in Foren, Netzwerken, Social Media, über Online-Kurse wie MOOCs oder durch Ted-Talks an ihrer fachlichen Entwicklung arbeiten. Gleichzeitig erlauben die sozialen Medien jedem, zum Experten zu werden, indem er für eine Community relevante Informationen produziert. Mitarbeitende können sogar ohne formale Abschlüsse oder akademische Titel als Fachperson wahrgenommen werden.
Das „ausgelagerte Gehirn“
In diesem Zusammenhang sprechen wir vom Phänomen des «outborded Brain», des ausgelagerten Gehirns. Dabei steht die Herausforderung im Vordergrund, wie Lernprozesse möglichst inklusiv und selbstbestimmt in einer fluiden Netzwerkgesellschaft organisiert werden sollen, in der Wissen zum Treibstoff aller technologischen, sozialen und ökonomischen Prozesse geworden ist. Abzusehen ist, dass Personalentwickler mit ausgeprägten Kompetenzen in der IT und der Fähigkeit zur Reduktion sehr gefragt werden.
Damit der Transfer von Inhalten und Aufgaben in die digitalisierte Welt gelingt, brauchen Personalentwickler und HR-Verantwortliche Kompetenzen in der didaktischen Reduktion. Indem sie in der internen Weiterbildung beispielsweise ein Online-Lernangebot mit einer benutzerfreundlichen Oberfläche entwickeln. Mitarbeitende können somit leichter auf der Lernplattform navigieren, treffen auf weniger überfrachtete Seiten und finden schneller passende selbsterklärende Schaltflächen.
Didaktische Reduktion: Reduce to the max
Die didaktische Reduktion hat eine lange Tradition. So empfahl der Pädagoge Johann Amos Comenius bereits vor 350 Jahren: «Schreite vom Nahen zum Entfernten, vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Leichten zum Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten fort.» Seine fünf didaktischen Regeln beeinflussen bis heute die Gestaltung von Lehrbüchern, Trainings und Weiterbildungsangeboten.
Indem Personalentwickler und Lehrende Inhalte auswählen und Lernziele oder Entwicklungsschritte definieren, stellen sie bereits reduktive Überlegungen an. Sie wählen aus, fokussieren und konzentrieren sich auf das Wesentliche. Folgende Fragen helfen bei der didaktischen Reduktion:
- Welche Voraussetzungen bringen die Mitarbeitenden oder Lernenden mit?
- Welche Inhalte sind praxisrelevant?
- Welche grundlegenden Zusammenhänge müssen sie erkennen?
- Gibt es Prototypen oder Beispiele, die den Sachverhalt gut erklären?
- Wie viel Zeit steht für den Lernprozess zur Verfügung?
- Was zählt am Schluss an der Prüfung, beziehungsweise über welche Handlungskompetenzen sollen die Lernenden verfügen?
Vorwissen berücksichtigen
Trainer und Kursleitende, die sich als Expertinnen und Experten ihres Bereichs verstehen, haben mit der Reduktion oft ein Problem. Weil sie über ein breites und komplexes, gleichzeitig vernetztes und verdichtetes Wissen verfügen, gehen sie davon aus, dass alles wichtig ist. Doch das ist meist nicht wahr. Folgen sie unreflektiert dem Standpunkt der «Vollständigkeit», muten sie ihrem Publikum, zumindest in einer ersten Phase, oftmals zu viel Stoff oder zu viel Komplexität zu. Mehr, als die Lernenden zu diesem Zeitpunkt aufnehmen können. Und mehr, als der Lernprozess im Moment auszuhalten vermag.
Aus diesem Grunde sind HR-Fachleute und Personalentwickler gut beraten, das Vorwissen und die Lernerwartung der Teilnehmenden im Vorfeld ihrer Planung abzuklären. Entsprechende Instrumente und Erhebungsmethoden verschaffen Klarheit, beispielsweise durch einen Online-Test oder eine mündliche Standortbestimmung. Damit sind sie besser vorbereitet, um an die Konzeption einer Präsentation oder eines Lernangebotes zu gehen. Und können so den Mitarbeitenden den Zugang zum Lernstoff vereinfachen.
Den vollständigen Artikel finden Sie hier: https://lnkd.in/eMbyhgq
Hallo Herr Wüest,
ich habe bereits Ihren Beitrag auf Lehrerfreund.de aus Ihrem ersten Fachbuch gesehen (https://www.lehrerfreund.de/schule/1s/spickzettel-klassenarbeit-erlauben/4703).
Ist das richtig, dass Ihr erstes Buch noch immer vergriffen ist oder ist bald eine Neuauflage geplant?
Mir gefällt übrigens die Fokussierung, mit der Sie sich dem Thema „Reduktion“ zuwenden und kann für meine eigene Trainertätigkeit viele Impulse mitnehmen. Mich würde noch interessieren, wie Sie zur Idee des „Elevator Pitch“ stehen, bei dem es ja auch um „in der Kürze liegt die Würze“ geht. Ich setze die Methode in Tagesseminaren für Präsentationstechnik ein und mehrheitlich kommt sie gut an.
MfG P. Erdinger
Danke für Ihre wertschätzende Nachricht. Ja, Fokussierung bleibt wichtig. Gerade in Zeiten, wo das „Internet“ und die grosse Welt da draussen … laufend mit Ablenkung reizt. Mein erstes Buch liegt im Prinzip überarbeitet vor. Doch weil ich mit einen Verlag gerade in Verhandlung über einen neuartigen Titel zu „Reduktion und Transferwirksamkeit“ stehe, kommen auch noch andere Varianten ins Spiel. Schreiben Sie mir einfach eine @, wenn Sie an Info zur Neuauflage interessiert sind und ich halte Sie gerne auf dem Laufenden.
Zum Elevator Pitch: In meinem aktuellen Fachbuch „Auf den Punkt – Didaktisch reduziert lehren und präsentieren“ greife ich den „Pitch“ methodisch auf und schlage (S. 43) eine Variante vor, die in der Erwachsenenbildung gut ankommt.
Ich schreibe dort: „Die Struktur des Elevator Pitch zwingt Lernende, auf den Punkt zu kommen. Durch die kurze und knappe Form ist es interessant, auch einer grösseren Zahl von Präsentierenden zuzuhören“.
Gerne sende ich Ihnen mein Fachbuch auf Wunsch zu, oder Sie bestellen es über ihre lokale Buchhandlung oder zur Not auf Amazon: https://www.amazon.de/Auf-den-Punkt-präsentieren-HRM-Dossier/dp/3906067238
Gratuliere👍👍👍
Aus der Luft gesendet
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Hoi Yvo,
du bist ja ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen! Ich freue mich immer über deine Hinweise mit Tiefgang inkl. auf LinkedIn. Und diese Woche sah ich deinen Beitrag zu #DidaktischerReduktion in der Printausgabe im HR-Today, dass bei uns im Büro aufliegt. Ich so: „Hey, den kenne ich!“.
Alles Gute für deine nächsten Projekte,
Dominik H.
Hoi Dominik, good to hear from you!
Ich freue mich, wenn mein Artikel dich „gefunden“ hat. Tatsächlich habe bisher mehr Rückmeldungen auf meinen Artikel in der Printausgabe erhalten, als zur Veröffentlichung im Online-Journal.
Siehe: https://hrtoday.ch/de/article/digitaler-wandel-zwingt-zur-reduktion
Fühl dich frei, dort einen Kommentar einzutragen, wenn dich mein Artikel inspiriert hat.
Sunny side up, Yvo